Seit dem ersten Lockdown gehören Livestreams für viele Künstler:innen zum Alltag. Im Gespräch mit andererseits erzählen sie, wie die Auftritte im Internet ihre Musik beeinflussen und was für und gegen sie spricht.
andererseits: Warum habt ihr begonnen, Livestreams zu posten?
Peter Sax: Mein Fokus liegt sonst eher auf Spotify. Aber natürlich will man als Künstler die Musik auch live präsentieren. Gleich gut wie ein richtiger Liveauftritt fühlt es sich nicht an, das wissen wir eh alle. Aber ich wollte mich eben auch online als Musiker präsentieren können. Der Lockdown war der passende Moment, das zu lernen.
Peter Sax ist Musiker, hauptsächlich singt er und spielt Saxophon. Außerdem hat er ein eigenes Musik-Label und einen Musikverlag. Im ersten Lockdown hat er erkannt: Online Streams müssen Teil seines künstlerischen Auftritts werden.
Günther Schmidt: Für mich war das am Anfang echt eine Challenge. Ich hab mich sehr intensiv mit der Technik beschäftigt, es ist dann von Mal zu Mal besser geworden. Ich kann mich an Nächte erinnern, wo ich mich mit Peter ausgetauscht hab bis ins letzte Detail wegen allen technischen Geschichten, die unseren gemeinsamen Livestream betreffen.
Günter Schmidt tritt normalerweise als DJ GS auf Hochzeiten, Firmenfeiern oder Geburtstagsfeiern auf. Schon im ersten Lockdown hat er begonnen, Livestreams zu posten.
Leonie Stussy: Wir spielen mit der Wiener Mischung hauptsächlich elektronische Musik. Für uns wurde das Streamen total wichtig. Wir wollten den Leuten weiterhin Freude bereiten. Wir wissen, dass Musik heilen kann, das Musik verbindet. Wir finden, dass wir gerade jetzt mit Social Distancing allen Menschen viel geben können, indem wir sie mit der Musik ein bisschen aufheitern und ablenken können von den vielen Dingen, die passieren.
Leonie Stussy: hat die Wiener Mischung gegründet. Um ihre DJ-Sets per Livestreams zu spielen musste sie sich sehr aufraffen, ihr fehlt das Publikum und damit Inspiration, Kommunikation und das Tanzen.
Patrick Zechner: Als aka alphasheep von der Wiener Mischung war ich für die Technik zuständig. Wir haben eigentlich von null weg begonnen, wie wahrscheinlich alle. Mittlerweile schaffen wir schon, parallel aus verschiedenen Wohnungen zu streamen.
Patrick Zechner aka alphasheep ist im DJ-Kollektiv Wiener Mischung für die Technik zuständig und hat im ersten Lockdown begonnen, DJ-Sets live zu streamen. Davor hat er sich nur aufs Auflegen konzentriert.
Nastasja Ronck: Ich hab eher Erfahrung mit Vorab-Aufzeichnungen gemacht, die später als Livestream verkauft werden. Anders war es bei meinem Musik-Unterricht: Ich hab per Video live Stunden gegeben.
Nastasja Ronck hat vor allem viel darüber diskutiert, was für oder gegen Livestreams spricht. Sie ist Musikerin, spielt Klavier und Gitarre, singt, studiert und ist bei der Band My Ugly Clementine, die im Sommer eigentlich am Primavera Festival in Barcelona spielen hätte sollen. 2020 hat die Band ein Album und eine Single released.
Was macht einen guten Livestream aus?
Nastasja Ronck: Im ersten Lockdown haben viele Künstler:innen Live-Videos gemacht, es war ein Ausnahmezustand. Es hatte Charme, wie alle aus ihrem Wohnzimmern gestreamt haben. Auch wenn die Video- und Auidioqualität schlecht war. Ich glaub, dann hat es sich geteilt in jene, die drangeblieben sind und das optimiert haben. Und in jene, die gesagt haben: bevor es schlecht klingt, nehme ich alles vorher auf und stell es dann zur Verfügung. Mit My Ugly Clementine hätten wir Anfang Juni am Primavera Festival in Barcelona gespielt. Wegen der Pandemie wurde daraus ein Online-Festival und wir waren mit einem Video dabei. Auch für Willkommen Österreich haben wir ein Video aufgenommen, und damit das halbwegs gut klingt, musst du schon Zeit investieren. Es wäre für uns viel einfacher gewesen, hinzugehen und zu spielen als so ein ganzes Video aufzunehmen. Die Relation zwischen dem, was dir gezahlt wird, und der Zeit und Arbeit für das Video, stimmt nicht ganz. Ist diese finanzielle Frage für euch auch zum Tragen gekommen?
Günther Schmidt: Man braucht für jeden Stream ein neues Programm, weil meist die selben Leute zusehen – das ist eine Challenge für mich, weil ich jeden Samstag streame. Und ich glaube es ist nicht nur die Musik beim Livestream, die wichtig ist, sondern es ist generell auch dieses Community-Denken, Bei meinen Livestreams vernetzen sich die Leute untereinander. Sie schreiben sich auf Facebook, wir haben mittlerweile eine eigene WhatsApp-Gruppe, wo auch über anderes als Livestreams geredet wird.
Peter Sax: Die Performance war für mich die allergrößte Challenge muss ich sagen. Du musst an so viel gleichzeitig denken. Gute Livestreams haben auch Lichteffekte, die Technik muss passen, du kommunizierst gleichzeitig in den Kommentaren.
Günther Schmidt: Mir ist es passiert, dass mich Leute tatsächlich gefragt haben, ob sie das unterstützen können. Das ist nicht von mir gekommen, sondern die Leute haben gefragt, gibts da die Möglichkeit zu spenden. Wenn sich meine Kosten für den Stream gerade so decken, ist das in Ordnung für mich. Und der große Vorteil, den ich daraus gehabt habe: Man ist präsent und man hat auch die Möglichkeit wieder neue potenzielle Kunden zu erreichen. Anfangs ging das über Facebook, dann wurden dort Songs immer wieder abgebrochen, wegen Urheberrechten, also bin ich auf Twitch und YouTube gewechselt, wie die meisten.
Leonie Stussy: Die Livestreams haben wir nicht kommerziell verwertet. aber das Finanzielle…naja das ist so eine Geschichte. Gagen im DJ-Bereich und im Clubbing-Bereich sind sowieso eine Katastrophe. Im Sommer wurde man kaum bis gar nicht bezahlt. Aus Solidaritätsgründen gegenüber den Klubs wurde fast überall gratis aufgelegt bis auf die Getränkebons, die man gekriegt hat. Als Künstler und gerade im Bereich DJing und Produktion zu überleben, ist fast unmöglich. Die meisten von uns haben noch andere Jobs, arbeiten in einem Klub an der Bar oder machen ganz andere Sachen, um sich dann ihre Leidenschaft zur Musik finanzieren zu können.
Nastasja Ronck: Es war in der Coronazeit ein gängiger Vorschlag, zwei Sets zu spielen. Ohne doppelte Gage. Aus Solidarität gegenüber dem Veranstalter haben sicher viele zugestimmt. Man wollte sich ja aushelfen.
Leonie Stussy: … ja und man soll sich freuen wenn man ein gratis Bier bekommt. Die Frage ist dann: Macht man mit? Oder schließt man sich zusammen und sagt, “Nein” – das gab es auch Diskussion mit einigen Künstlern. Wie weit soll man gratis auftreten?
Wie hat das Internetleben eure Auftritte beeinflusst?
Nastasja Ronck: Im März haben wir mit My Ugly Clementine unser erstes Album veröffentlicht. Und da überlegt man sich ob Livestream ja oder nein. Wie oft kann man das machen? Wie oft performed man dieselben Songs? Macht es überhaupt Sinn, dass ich jetzt fünfmal das gleiche mache von unterschiedlichen Plattformen. Im Dezember haben wir eine neue Single herausgebracht. Während der Proben für unseren einzigen richtigen Livestream im Radiokulturhaus haben wir den Refrain A-Capella in einer Instagram-Story gesungen und so den Song auf Social Media präsentiert.
Peter Sax: Ich versuche wirklich, dass das Streaming zur Grundversorgung wird. Ich habe einen Plan, in dem ich alle sechs bis acht Wochen einen neuen Song oder eine besondere Version von einem Song veröffentliche. Ich habe mir kurz die Frage gestellt, ob es wirklich noch das ist, was ich machen will, ob mir das Musikmachen dann noch so Spaß macht. Eigentlich hab ich was ganz anderes studiert. Ich habe Musik immer gemacht, weil es mir riesigen Spaß macht mit Leuten und vor Leuten zu spielen. Mittlerweile macht mir das Livestreamen auch ein wenig Spaß. Und irgendwann kommen die Liveauftritte ja wieder zurück, schleppend halt.
Patrick Zechner: Wir haben auch neue Fans bekommen, weil sie uns in den Livestreams gesehen haben. Manche davon haben wir im flex-Garten aufgenommen. Allerdings ist der Internetempfang mitten in der Stadt sehr schlecht. Bei uns war das gar nicht so, dass live so viel dabei sind, wir beobachten, dass die Leute unsere Videos eher nachschauen.
Günther Schmidt: Mein Livestream lebt wirklich auch sehr viel von der Interaktion mit den Zuseherinnen und Zusehern. Ich habe natürlich einen ordentlichen Zuwachs auch auf Instagram bekommen und das teilweise auch international.
Wie geht ihr damit um, dass ihr weniger mit anderen Musiker:innen zusammen kommt?
Peter Sax: Das find ich nach wie vor komisch. Seit ich 14 bin, gab es fast kein Wochenende, an dem ich nicht irgendwo in Gruppen Musik gemacht habe. An die freien Wochenenden muss ich mich erst gewöhnen und Hobbys suchen (lacht). Der persönliche Kontakt mit Musikkollegen fehlt mir. Mit Zoom-Meetings lässt sich das nicht ersetzen.
Günther Schmidt: Bei mir war’s anders. Als der erste Lockdown ausgesprochen wurde, haben sich viele DJ-Kollegen bei mir gemeldet und mich gefragt wie gehst du damit um, wie geht es weiter? Und irgendwie sind dadurch auch neue, intensivere Kontakte entstanden. Natürlich virtuell aber trotzdem hat man sich ausgetauscht.
Nastasja Ronck: Wenn es darum ging, gemeinsam was aufzunehmen, dann fehlten die Probeblöcke davor. Normalerweise hätten wir uns auf der Tour “zusammengespielt”. Was ich schwierig gefunden habe: Wenn du auf der Bühne stehst, dann passiert es einfach. Was genau passiert, ist dann eigentlich egal, wenn die Dynamik geil ist und es Spaß macht. Beim Video aber schaust du es dir an und denkst: Na, das müssen wir jetzt nochmal machen! Das ist schon zweischneidig. Und natürlich fehlt das einfach: musikalische Kommunikation passiert nicht mit Worten, da geht‘s so viel um Flow und das hat keine Latenz wie das Internet. Also du bekommst im Internet keine direkte Reaktion des Publikums mit.
Peter Sax: Latenz ist glaub ich das, das das Ganze generell so unwirklich macht.
Nastasja Ronck: Ich glaube es gab Leute, die waren voll froh drum, dass einmal kurz Pause war. Ich war komplett überarbeitet, ich habe das total gebraucht. Und dann kam eine Entlastungsdepression, wo man sich denkt: wow, was mach ich jetzt? Und wenn dann von außen kommt: Super, jetzt können wir schreiben und kreativ sein, ist das Druck.
Peter Sax: Ja, du musst Geschichten erst erleben, sodass du sie erzählen kannst.
Nastasja Ronck: Glaube manche haben das genossen und konnten kreativ werden. Manche waren aber total blockiert, obwohl sie Zeit hatten.
Leonie Stussy: Ich kann dem auch nur Recht geben. Ich hatte eine totale Erstarrung. Ich konnte nicht fassen, was passiert ist und warum das passiert ist. Ich war dann wirklich überhaupt nicht inspiriert und war nur auf der Couch. Patrick ist unser Motor in der Crew und war derjenige, der gesagt hat: „Reiß dich mal zusammen, überleg dir was, nimm’s positiv. Und sieh eine Chance in der Krise.“ Aber bei mir hat’s wirklich gedauert.
Patrick Zechner: wenn du alleine bist, dann bist du in einem Loch. Aber wenn du in der Gruppe bist, sind das eine Vielzahl von verschiedenen Einflüssen, die du dann wieder versuchen musst, in eine Richtung zu bringen. Ein jeder geht mit Krisensituationen anders um. Das ist für uns schon ein großes Thema, dass wir dann als Gruppe wieder das Licht am Ende des Tunnels sehen.
Interview: Sebastian Gruber & Thomas Schuller
Mitarbeit: Katharina Brunner
Grafik: Steffi Frossard
Photocredits: Nastasja Ronck: Hanna Fasching; Leonie Stussy: Miriamblitzt; Günther Schmidt, Peter Sax, Patrick Zechner: privat