Geld spielt eine Rolle

»Für uns gilt der gesetzliche Mindestlohn nicht.« – Lulzim Lushtaku
Lulzim Lushtaku schaut mit freundlichen Blick in die Kamera. Er trägt eine schwarze Winterjacke und trägt eine Brille.

Knapp jeder fünfte Mensch mit Behinderungen in Deutschland lebt laut dem letzten Teilhabe-Bericht der Bundes-Regierung in Armut. Wir haben mit drei Menschen mit Behinderungen über ihr Geld gesprochen.

1100 Euro. So viel Geld haben Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen arbeiten, im Schnitt jeden Monat zur Verfügung. Mit 1100 Euro im Monat gilt man offiziell als armuts-gefährdet. Generell sind Menschen mit Behinderungen öfter von Armut betroffen als Menschen ohne Behinderungen. 

Im Jahr 2017 gab es über drei Millionen Menschen mit Behinderungen im arbeits-fähigen Alter. Aber nur rund die Hälfte von ihnen hat am allgemeinen Arbeits-Markt gearbeitet. Das liegt auch daran, dass es Deutschland nicht gelingt, Jobs für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. 

Jeder Arbeit-Geber mit mindestens 20 Arbeits-Plätzen müsste eigentlich Menschen mit Schwer-Behinderungen anstellen. Ein Drittel macht das nur teilweise. Jeder vierte stellt sogar keinen einzigen Menschen mit Schwer-Behinderung ein. Das ist eigentlich gegen das Gesetz.

Fehlende Inklusion am Arbeits-Markt führt dazu, dass viele Menschen mit Behinderungen in Werkstätten arbeiten statt in regulären Jobs. Rund 300 Tausend Menschen sind das in Deutschland. Im Jahr 1994 waren es noch 160 Tausend.

Dort erhalten sie keinen Lohn, sondern im Durchschnitt nur etwas mehr als 200 Euro Taschen-Geld. Viele leben hauptsächlich von Sozial-Leistungen.

Dabei sind Werkstätten auch dazu da, Menschen mit Behinderungen auf reguläre Jobs vorzubereiten. Aber weniger als ein Prozent der Menschen wechseln von der Werkstatt in eine Anstellung. Auch die Prüfer*innen der Vereinten Nationen kritisieren Deutschland scharf für diesen Umgang mit seinen Bürger*innen mit Behinderung. Insbesondere das Werkstatt-System schließe Menschen strukturell aus dem allgemeinen Arbeits-Markt aus und verletze so ihre Menschen-Rechte.

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Der aktuellste Teilhabebericht der Bundesregierung zeigt: Menschen mit Behinderungen haben 30 Prozent weniger Vermögen als Menschen ohne Behinderungen. Zusätzlich kostet das Überwinden von Barrieren Geld. Zum Beispiel: passende Roll-Stühle, technische Hilfs-Mittel, Helfer*innen im Alltag. Vieles, was Menschen mit Behinderungen für eine gleichberechtigte Teilhabe brauchen, müssen sie zum Teil selbst bezahlen.

Wir haben mit Menschen mit Behinderungen gesprochen, die in unterschiedlichen Berufen arbeiten. Wir haben sie gefragt, wie sie mit ihrem Gehalt zurechtkommen. Sie haben uns erzählt, wie viel sie verdienen, wofür sie ihr Geld ausgeben und wie viel eine Behinderung kosten kann.

„Für mich gilt der Mindestlohn nicht” 

Lulzim Lushtaku ist 37 Jahre alt und lebt im Kreis Düren. Er ist bei einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen angestellt und ist unter anderem Vorsitzender der Werkstatt-Räte Deutschland. Dort vertritt er die Interessen von Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten arbeiten. Aufgrund einer erhöhten Muskel-Spannung in Armen und Beinen kann er sich nur begrenzt bewegen und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. 

Lulzim Lushtaku schaut mit freundlichen Blick in die Kamera. Er trägt eine schwarze Winterjacke und trägt eine Brille.

Wie viel verdienen Sie?

Für meine Arbeit erhalte ich 368 Euro im Monat. Für uns gilt der gesetzliche Mindestlohn nicht. Ich finde, ich verdiene deutlich zu wenig, weil ich sehr engagiert arbeite. Und auch meine Kollegen, die täglich in der Werkstatt arbeiten, erhalten dafür viel zu wenig Geld. 

Haben Sie noch andere Einkommen? 

Ich bekomme Grund-Sicherung. Das sind etwa 520 Euro im Monat. Hinzu kommt das Kinder-Geld von knapp 200 Euro. Außerdem erhalte ich ein Pflegegeld. 

Die Hälfte von meinem Gehalt wird mir abgezogen, weil ich Grund-Sicherung beziehe. So komme ich auf insgesamt ungefähr 1000 Euro im Monat. 

Wofür geben Sie Ihr Gehalt aus?

Ich lebe mit meinen Eltern und meinem Bruder in einer barriere-freien Wohnung. Dafür zahle ich monatlich einen Teil der Miete und Neben-Kosten. Das sind wenige hundert Euro.

Das Pflege-Geld zahle ich für eine Pflege-Person, die mich unterstützt. Hinzu kommen Fahrt-Kosten mit dem Taxi, wenn ich zügig zu einer Veranstaltung kommen muss. Den Bus kann ich aufgrund meiner Behinderung umsonst nutzen.

Ich lege großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres und möchte mir daher gerne gute Klamotten kaufen. Ich gehe gerne ins Kino und schwimmen. Dafür zahle ich im Monat etwa 40 Euro.

Wegen meiner Behinderung habe ich mir außerdem ein höhen-verstellbares Bett gekauft, das über 800 Euro gekostet hat. 

Wie viel von Ihrem Gehalt können Sie sparen? 

Ich versuche, ein wenig Geld für Urlaube zu sparen. 2019 war ich für vier Tage in Barcelona. Dafür habe ich drei Jahre lang gespart. Danach habe ich begonnen, für die Fußball Europa-Meisterschaft 2024 zu sparen.

Ich wollte mein Heimatland Albanien live im Stadion spielen sehen. Und es hat funktioniert. Ich werde diese Erlebnisse mein Leben lang nicht vergessen.

Was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft? 

Ich wünsche mir, dass meine politische Arbeit weitergeht. Ich bin vor kurzem in die SPD eingetreten und möchte mich in der Partei engagieren. Vielleicht kann ich irgendwann in den Landtag einziehen? 

„Ich verdiene 3250 Euro brutto”

Franziska Lammers ist 32 Jahre alt. Sie lebt in Köln und arbeitet bei „Wir kümmern uns!“, einer Beratungs-Agentur für barriere-freie Veranstaltungen. 

Franziska ist kleinwüchsig und nutzt einen Rollstuhl. 

Eine junge Frau mit kurzen blonden Haaren und einem pinken Oberteil sitzt an einem Tisch. Sie verwendet einen Rollstuhl.

Wie viel verdienen Sie?

Ich verdiene 3250 Euro. Wenn die Steuern und Sozial-Abgaben abgezogen wurden, bleiben 2186 Euro. Zudem bekomme ich 200 Euro Homeoffice-Pauschale pro Monat. Ich arbeite 30 Stunden pro Woche. Das finde ich ein faires Gehalt für meine Arbeit.

Haben Sie noch andere Einkommen?

Ich habe keine anderen Einkommen.

Wofür geben Sie Ihr Gehalt aus?

Ich zahle 790 Euro Miete. Internet, Handy und Strom kosten mich etwa 127 Euro.

Für Lebensmittel zahle ich 150 Euro im Monat. Oft bestelle ich Essen, da Kochen für mich ein hoher Aufwand ist. Das kostet etwa 70 Euro. In der Drogerie zahle ich 50 Euro. Ebenso für neue Kleidung. Da kommen etwa 30 Euro für Änderungen hinzu.

Für längere Reisen mit dem ICE zahle ich durch-schnittlich 40 Euro. Den Nah- und Regional-Verkehr kann ich kostenlos nutzen. Für Abos gebe ich 31 Euro aus. 40 Euro spende ich monatlich. 

Ungefähr 370 Euro gebe ich für Restaurant-Besuche, Konzerte, Festivals und andere Aktivitäten aus. 

Ich habe Glück, dass mein Rollstuhl bisher immer von der Kranken-Kasse bezahlt wurde. Das ist nicht immer so. Ich habe auch ein Rollstuhl-Zuggerät, das ich auf längeren Strecken aufgrund meiner geringen Muskel-Kraft in den Armen benötige.

Eine Extra-Ausgabe ist meine angepasste Küche. Ich habe auch einen Fenster-Öffner, den ich mal für 50 Euro gekauft habe. Im Supermarkt bin ich manchmal gezwungen, teurere Produkte zu nehmen, weil ich an die günstigeren Produkte nicht herankomme. Dann nehme ich Bio-Produkte, weil ich nicht immer Lust habe, jemanden zu fragen, ob er mir die andere Paprika reichen kann.

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Wie viel von Ihrem Gehalt können Sie sparen? 

150 Euro gehen direkt in ETFs für die Rente und 200 Euro spare ich für sonstige Rücklagen.

Was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft? 

Ich bin glücklich und freue mich, wenn es so weitergeht und wir mit unserer Arbeit dazu beitragen, dass die Kultur-Landschaft für Menschen mit Behinderungen zugänglicher wird. Für alle Menschen mit Behinderungen wünsche ich mir, dass sie fair bezahlt werden.

„Ich möchte nicht abhängig von anderen sein”

Ben-Eric Wattenberg ist 24 Jahre alt und lebt in Mannheim. Er arbeitet nach seiner Ausbildung im Garten- und Landschafts-Bau. Am Ende des Monats bleibt ihm kaum etwas von seinem Einkommen übrig. Wattenberg ist Autist. 

Ein Mann mit rotem T-Shirt schaut in die Kamera, er trägt einen Hut. Hinter ihm ist ein grünes Feld.

Wie viel verdienen Sie?

Ich absolviere derzeit eine Maßnahme vom Arbeitsamt. Dort soll ich lernen, mit meinen Problemen umzugehen und eine Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Ich mache gerade ein Praktikum bei einer Garten-Bau-Firma in Mannheim, die mir sehr gut gefällt. Das Praktikum mache ich mit der Aussicht, übernommen zu werden. Von der Agentur für Arbeit bekomme ich für das Praktikum 822 Euro im Monat.

Weil ich von diesem Geld nicht leben kann, bekomme ich vom Jobcenter zusätzlich 311 Euro im Monat. Ich habe also 1033 Euro im Monat.

Ich finde das in Ordnung, weil ich ja gerade eine Maßnahme mache. Gleichzeitig würde ich mir wünschen, etwas mehr Geld zu haben. Denn die Lebens-Mittel sind teurer geworden, das merke ich sehr.

Haben Sie noch andere Einkommen? 

Nein.

Wofür geben Sie Ihr Gehalt aus?

Ich wohne in einer betreuten Wohn-Einrichtung für Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Ich habe hier ein Einzel-Zimmer mit Gemeinschafts-Badezimmer und einer kleinen Küche.

Außerdem bekomme ich ein warmes Essen am Tag und jede Woche Geld für mein Essen. Dafür zahle ich im Monat 801 Euro.

Ich habe ein Deutschland-Ticket. Das könnte ich aufgrund meines Handicaps eigentlich günstiger bekommen, aber ich habe es noch nicht geschafft, das zu beantragen.

Damit bleiben mir 332 Euro übrig. 

Für Spotify, mein Handy und YouTube zahle ich 50 Euro. Für Medikamente zahle ich monatlich rund 30 Euro. Für Kleidung gebe ich durchschnittlich zehn Euro im Monat aus.

Vor kurzem war ich mit einem Kumpel in Frankfurt. Da hatte ich gerade Trinkgeld von einer Kundin bekommen und wir haben uns einen Döner gekauft. Für etwas anderes bleibt aktuell nicht viel übrig. Ich gehe nicht ins Kino, nicht auf Konzerte. 

Wie viel von Ihrem Gehalt können Sie sparen? 

Nichts. 

Was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft? 

Ich möchte unbedingt bei meinem jetzigen Arbeitgeber übernommen werden. Dann hätte ich auch mehr Geld zur Verfügung.

Ich möchte nicht abhängig von anderen sein und in meinem Beruf durchstarten. Gleichzeitig bin ich auch stolz darauf, wie ich jetzt lebe.

Denn ich lerne Boden-Ständigkeit. Du bekommst im Leben nicht alles geschenkt und musst hart arbeiten.

Geschrieben Von

Cristina Helberg,

Saskia Papenthin,

Finn Starken

Fotos von

Nirén Mahajan, 

Anton Hamacher

Redaktion

Lisa Kreutzer, 

Clara Porak