Barrieren machen einsam

Leonie Schüler hat keine engen Freundschaften. Sie musste in ihrem Leben gegen viele Barrieren kämpfen. Das hat sie einsam gemacht.
Ein Profil-Portrait von Leonie Schüler. Sie schaut mit ernsten Blick nach rechts.

Geschrieben von

Herausgefunden von Leonie Schüler und Emilia Garbsch

Fotografiert von Marie Haefner

 

andererseits hat mit der Fernseh-Sendung ZDF Magazin Royale zusammen-gearbeitet.

Logo ZDF Magazin Royale

Abends bin ich meistens allein in meinem Wohnzimmer.

Ich telefoniere mit meiner Mutter.

Danach arbeite ich.

Ich arbeite, damit ich nicht merke:

Ich bin einsam.

Ich arbeite auch am Wochenende.

Erst nach der Arbeit entspanne ich.

Aber an eine Sache muss ich immer denken:

Eines Tages werden meine Eltern nicht mehr da sein.

Ich werde auch nicht für immer arbeiten.

Was bleibt mir dann?

Laut einem Bericht fühlen sich Menschen mit Beeinträchtigungen fast fünfmal so oft einsam wie

Menschen ohne Beeinträchtigungen.

Warum ist das so?

Ich habe lange Zeit meinen Platz in der Welt gesucht. Damit war ich sehr beschäftigt.

Deshalb konnte ich nicht an Freundschaften arbeiten.

Ich dachte lange, das wäre meine Schuld.

Heute weiß ich, dass das nicht stimmt.

Es liegt auch an vielen Barrieren,
die mir die Teilhabe schwer machen.

In der Schule hatte ich immer sehr gute Noten.

Deshalb haben andere gesagt, dass ich eine Streberin wäre.

Es gab keine engen Freund-schaften.

Einige Klassenkamerad*innen wechselten nach der Schule in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.

Ich wollte das nicht.

Deshalb verloren wir den Kontakt.

Während meiner Ausbildung war ich in einer Gruppe von Auszubildenden mit und ohne Beeinträchtigungen.

Aber nach der Ausbildung löste sich die Gruppe auf.

Wir waren gute Kolleg*innen,
aber keine Freund*innen.

Ein Profil-Portrait von Leonie Schüler. Sie schaut mit ernsten Blick nach rechts. Leonie Schüler trägt eine rosarote Jacke und nützt einen Rollstuhl.

Ich glaube, ein Grund dafür war:
Viele Menschen können sich gar nicht vorstellen, mit mir befreundet zu sein.

In unserer Welt sind Menschen mit und ohne Einschränkungen schon als Kinder getrennt.

Deshalb gibt es viele Vorurteile und wenig Offenheit.

Erst als ich über 30 Jahre alt war,
habe ich Freunde gefunden.

Es sind Jungs,
die gemeinsam in einer Wohn-Gemeinschaft leben.

Aber es gibt ein Problem.

Die Wohn- Gemeinschaft ist nicht barrierefrei,
so wie die meisten Wohnungen in Deutschland.

Auch in Geschäften und in Bussen und Bahnen gibt es viele Hürden.
Ich kann nicht spontan essen gehen oder einkaufen.

Meine Freunde waren oft in Clubs und auf Feiern,

zu denen ich nicht mitgehen konnte.

Jedes Mal fühle ich mich ein Stück mehr allein.

Wenn Orte nicht barrierefrei sind,
dann fühle ich mich nicht willkommen.

Eine barrierefreie Welt wäre für alle Menschen gut,
nicht nur für Menschen mit Einschränkungen.

Es wäre eine Welt, in der es mehr um Gemeinschaft geht. Einsamkeit betrifft viele Menschen mit und ohne Einschränkungen.

Ohne Barrieren könnten wir uns mehr begegnen und einander bereichern.

Endlich ein Ort, an dem ich mich zuhause fühle

Seit ungefähr einem Jahr bin ich in einem Fußball-Verein. Ich schaue bei Spielen zu und engagiere mich.

Im Frühjahr hatten wir eine Vereins-Sitzung.

Das Vereins-Heim ist nicht barrierefrei.

Deshalb hatte ich Angst,
dass ich von draußen zusehen müsste.

Ich kam abends an und war überwältigt:
Dort war einfach eine Rampe.

Ich hatte nicht zuvor nachgefragt.

Aber jemand hat eine Rampe für mich aufgestellt.

Ich war so berührt.

Das war wie eine Einladung: „Du gehörst hierher.“

Es ist seither der einzige Ort,
an dem ich mich zuhause fühle.