Salò: „Wie fucking unverschämt ist das?“

Als sich ein Radiomoderator über seinen Sprachfehler lustig macht, geht der Musiker Salò in die Offensive. Über das Leben mit mehr Aufmerksamkeit und ranzige Musik
Illustration Mund in Grün mit zwei Sprachblasen darunter zwei megaphone und ein Regenbogen

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Als sich ein Radiomoderator über seinen Sprachfehler lustig macht, geht der Musiker Salò in die Offensive. Über das Leben mit mehr Aufmerksamkeit und ranzige Musik

andererseits: Wie bist du Musiker geworden?

Salò: Ich mache eigentlich schon Musik seit ich 16 bin. Damals war es aber ganz andere Musik wie ich heute mache: Punk, Punk-Rock, härtere Geschichten. Dann gab es eine längere Pause. Vor fast zwei Jahren habe ich dann wieder begonnen, Musik zu machen. Das hatte damit zu tun, dass ich eine Trennung hatte. Und diese Beziehung habe ich in meiner ersten Platte verarbeitet.

Ist es schwierig, oder sogar mutig, diese persönlichen Geschichten zu erzählen? 

Das kommt von selbst. Die Musik hilft mir. Man kann sich freimachen von seinen Problemen. Im Endeffekt macht es auch sehr Spaß bei gewissen Themen. Es fühlt sich richtiger an, echte Dinge aus dem Leben zu verarbeiten als sich das auszudenken. Aber es geht nicht nur um diese Ex-Freundin. Man hat ja auch so ein literarisches Ich, das quasi die Lieder singt. Aus einer gewissen Distanz heraus.

Als Sänger steht man im Mittelpunkt und alle Augen und Ohren richten sich auf dich. Braucht es Mut vor denen spielen zu können? 

Also ich bin extrem aufgeregt, wirklich extrem. Ich hatte wegen Corona bis jetzt nur vier Auftritte mit diesem Projekt. Und ich war wirklich so aufgeregt, dass ich in der Stunde davor mit niemanden reden konnte. Aber in dem Moment, wo das erste Lied startet, ist es wirklich wie verflogen. Und da macht man sich auch keine Gedanken mehr. Du wirst ins kalte Wasser geworfen und tust es einfach. Aber ich bin vor jedem Konzert gleich nervös wie vor dem allerersten. Man ist ja auch sehr selbstkritisch und hat Angst, dass man nicht gut singt. Ich weiß nicht, ob das jemals aufhört. Man will ja auch sich und die Hörer:innen nicht enttäuschen.

Jetzt gerade gibt es wahrscheinlich gar keine Auftritte?

Ich wurde für das c/o pop, ein großes deutsches Festival, gebucht – natürlich online. Aber das ist halt so. Ich hatte die Chance dieses Klinkenputzen und dieses Vorband-sein ein bisschen zu überspringen. Das heißt, jetzt, wenn die Musikbranche nach Corona wieder kommt, steige ich gleich ein bisschen besser ein – so fühlt es sich jedenfalls an!

Dieses „Klinkenputzen” ist dir einerseits durch Corona erspart geblieben, andererseits aber auch, weil du über FM4 ein wenig – vielleicht ungewollte – Aufmerksamkeit bekommen hast. Wie bist du eigentlich zu FM4 gekommen?

Jemand hat sich ein Lied von mir – „Ektoplasma” – in einer Wunschsendung auf FM4 gewünscht. Der DJ, Martin Blumenau, hat das Lied gespielt. Und dem hat es überhaupt nicht gefallen. Er hat das Lied mega gedisst und gehated.

https://www.youtube.com/watch?v=uKwk_klR5lc

Ihm hat ja nicht nur das Lied nicht gefallen, er hat live auf Sendung gemeint, du könntest keine große Karriere als Musiker haben, weil du einen Sprachfehler hast. Was geht da in einem vor, wenn man so etwas hört?

Das einzige, was in mir vorging, war: Wie fucking unverschämt ist das? Erstens einmal, dass man jemandem das so öffentlich reindrückt. Was sollen Leute denken, denen es wirklich schlecht geht mit so einem Sprachfehler? Oder die eine Beeinträchtigungen haben? Das kannst du nicht machen. Das ist respektlos den Hörer:innen gegenüber. Und ich muss schon sagen: Ich weiß, was er meint. Ich hatte oder habe dieses Lispeln und ich war auch in Logopädie. Es war früher viel schlimmer und ich finde es heute überhaupt nicht schlimm. Den meisten Leuten fällt es gar nicht auf. Er hat ein Riesending aus einer Sache gemacht, die so unauffällig ist. Leute, bei denen es stärker ist, trauen sich vielleicht überhaupt nicht mehr zu sprechen, geschweige denn zu singen. Was ist das für eine Message?

(Sebastian Gruber): Als ich geboren wurde, gab es noch nicht die Diagnose, dass ich behindert bin. Und die Ärzte haben dann zu meinen Eltern gemeint: Ihr Sohn wird nie gehen und sprechen lernen.

Das haben sie einfach von Anfang an gesagt?

Ja, einfach so! Man kann das nicht sagen! Man kann sagen: Er wird es schwer haben im Leben.

Ja, ganz genau. Das ist vielleicht ein systematisches Problem, aber in erster Linie ein menschliches Problem. Solche Leute haben von nichts eine Ahnung. Vor allem nicht, wie man mit Menschen umgeht. Wie man mit dem Prinzip Hoffnung umgeht. Stell dir vor, deine Eltern hätten dem Arzt geglaubt und sich den Aufwand nicht angetan, dich zu fördern. Oder du hättest ihm geglaubt und beschlossen, keine Therapie zu machen.

Du hast aber auch enorm viele positive Rückmeldungen auf den Vorfall und auf das Statement bekommen, das du auf Instagram dazu geschrieben hast.

Viele Leute waren sehr wütend. Darüber, wie gemein das war. Und andere Leute haben sich einfach mit mir solidarisiert. Ich habe sicher fünf, sechs Nachrichten von Leuten mit Sprachfehler gekriegt. Die haben gesagt, das hat ihnen Mut gemacht. Das hat mich sehr gefreut. Es waren auch Eltern dabei, die gesagt haben, sie wollen nicht, dass ihre Kinder in so einer intoleranten Welt aufwachsen, wo man öffentlich wegen sowas niedergemacht wird.

Es war also eine Mischung aus beidem: Wut und Schock über diese Gemeinheit, aber auch dieser Zuspruch – ich will mich jetzt nicht als Retter aufspielen, aber es ist so passiert -, dass ich mich für diese Gruppen stark gemacht habe. Ich wollte den Diskurs anregen. Das hat funktioniert. Ich wollte schnell das Thema von mir als Person abwenden, weil es mich nicht interessiert hat, dass es dann ewig nur mich geht. Und ich glaube, auch das ist gelungen.

War dein Sprachfehler jemals ein Hindernis als Musiker?

Nein, gar nicht. Als ich begonnen habe, war ich natürlich immer selbst mein strengster Kritiker. In meinen alten Bands habe ich immer darauf geachtet, dass man es auf der Aufnahme nicht hört. Ich wurde nie so richtig gehänselt, aber es hat doch immer sehr geschmerzt, wenn ich darauf angesprochen wurde. Es war wirklich ein Tabu-Thema für mich. Erst mit 25, also sehr spät eigentlich, habe ich Logopädie begonnen. Die erste Logopädie im Kindergarten hat nicht funktioniert. Ich hatte einfach keine Lust, die Aufgaben zu machen. Meiner Mutter war es irgendwann wurscht, weil sie meinte, es ist nicht so schlimm. Aber mit 25 wollte ich es ändern. Nicht, weil ich von der Außenwelt Druck gespürt habe. Sondern nur, weil es mich selbst gestört hat. Damals wollte ich auch noch Lehrer werden. Ich habe Lehramt studiert und dachte, dass es vielleicht wichtig ist – Kinder können grausam sein.

Wie reagieren andere Menschen im Musikbusiness auf den Sprachfehler? Merken die das?

Sagen wir so: Die häufigsten Nachrichten waren nicht „Scheiß FM4“, oder „Hey, cool, dass du das machst.“ Das häufigste war: „Hä? Das ist mir gar nie aufgefallen.”  Heute kann mir keiner was. Wenn man mich auf dieser Ebene treffen will, muss ich lachen. Ich fühle mich wohl mit dem Fehler. Mir gefällts gut. Ich finde es passt gut zur Musik, zu meiner Stimme und zu den Liedern. So eine super cleane Sprache passt nicht. Ich mag es, wenn es ein bisschen ranzig ist.

Um zu bestätigen, was du gerade gesagt hast: Was für einen Sprachfehler hast du eigentlich genau?

[Lacht] Ja, da siehst du, wie lächerlich das ist. Ein S. Schau her: [macht ein S]. Susi sitzt am Sessel. Merkst du, wie es ein bisschen schleift? [singt]: Salala, Sonne. Ja, scheißegal. Das ist ja das Lächerliche an der Sache. Dass er das an so einem superkleinen Mangel, der nicht einmal auffällt, so hoch aufzieht.

Ich hätte es auch nicht bemerkt. Aber wenn du an die Zeit vor der Logopädie zurückdenkst: Wie wolltest du, dass die Menschen darauf reagieren?

Wahrscheinlich, dass man mich nicht darauf anspricht. Vor allem bei Dingen, die offensichtlich sind, weiß der Mensch selber, was sein Makel ist. Man muss es ihm nicht vor Augen führen. Und die Debatten rund um political correctness, cancel culture und so weiter, geht schon in diese Richtung. Man muss nicht mehr gemein sein. Man muss Leuten nicht auf irgendeinen Makel hinweisen und aufgrund dessen niedermachen. Das ist nicht nötig.

Du hast die Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit dem FM4-Beitrag genutzt, um über die Lage von Flüchtlingen im Lager Kara Tepe zu sprechen. Wieso?

Was heute in den Medien als Krise berichtet wird, ist in einem Monat schon wieder vergessen und das nächste Ding ist da. Aber die Flüchtlingsthematik, vor allem in den Lagern und an den Außengrenzen, ist unsere aktuelle Krise. Ich finde, dass man ab einer gewissen Reichweite vor der Chance steht, diese auch zu nutzen, um etwas zu machen, was außerhalb der eigenen Gunst steht. Ich habe aufgerufen Doro Blancke, eine Aktivistin aus Graz zu unterstützen, die in Kara Tepe Hilfspakete verteilt. Ich weiß nicht, wie viele Leute gespendet haben, aber fünf Leute haben mir geschrieben. Unter anderem Andi Knoll, ein Moderator auf Ö3. Er hat gemeint, dass er die Aktion cool findet und dass er privat meine Musik hört. Das ist so witzig. Denn auf Ö3 hätte ich meine Musik nie gesehen.

 

Gespräch: Sebastian Gruber und Max Miller

Illustration: Clara Sinnitsch