Die Klimakrise macht klar: Wir müssen die Art, wie wir zusammenleben, neu denken. Warum nicht mit dem Füreinander-Dasein im Zentrum?
Von Clara Porak, Illustration: Clara Sinnitsch
„Heute habe ich irgendwie gar nichts geschafft“, sage ich. Ich sitze mit einem Freund in meinem Lieblingskaffeehaus. Er hat gefragt, wie es mir geht. Und dann sage ich diesen Satz, der mich ein paar Momente später nachdenklich macht. Weil er eine Lüge ist.
Ich war an dem Tag mit meinem Bruder einkaufen und habe eineinhalb Stunden mit einer Freundin gesprochen, die dringend jemandem zum Reden gebraucht hat. Ich habe meine Wohnung geputzt, mir Mittagessen gekocht und war im Wald, weil mir das so viel Energie gibt.
Ich habe den Tag mit Arbeit verbracht, aber mit einer Art von Arbeit, die wir gerne kleinreden und vergessen. Dem Füreinander-da-sein. Feminist:innen nennen diese Arbeit Sorge- oder Care-Arbeit. Das ist kochen und putzen, einem Kind ein Buch vorlesen, einen Socken stopfen. Care-Arbeit, das kann aber auch heißen, einen Baum zu pflanzen, einer älteren Person beim Waschen zu helfen oder einem kranken Menschen dabei, wieder gesund zu werden.
Während der Pandemie konnten viele sehen, wie wichtig sie ist: In unseren Krankenhäusern, unseren Kindergärten und Schulen, in unseren Wohnungen. Die COVID-19-Krise hat jetzt die schon lange bestehende Care-Krise verstärkt.
Denn eigentlich ist Care-Arbeit jetzt schon Kern unseres Wirtschaftssystems, sagt Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky von der Universität München. Und auch: Wir müssen darüber nachdenken, wer in Zukunft diese Sorgearbeit macht und wie wir sie verteilen. Gerade funktioniert die Verteilung der care-Arbeit nämlich schlecht. Laut OECD-Berichten macht unbezahlte Care-Arbeit 30 bis 50 Prozent des BIP aus, also aller Einnahmen eines Landes. Sie wird vor allem von Frauen erledigt: Laut einer Erhebung aus 2008/2009 leisten die Menschen in Österreich mehr unbezahlte als bezahlte Arbeit. Und Frauen dabei doppelt so viel wie Männer.
Neuere Daten gibt es nicht. Momentan arbeiten Forscher:innen der Statistik Austria an einer neuen Studie. Sie wird zeigen, ob sich in den letzten zehn Jahren etwas verändert hat. Studien zur Corona-Krise deuten eher das Gegenteil an: In einer Umfrage der WU gab der Großteil der Frauen in Paarhaushalten 2020 an, stärker für die unbezahlte Hausarbeit und Kinderbetreuung verantwortlich zu sein, als der männliche Partner.
Gerade ist diese unbezahlte Arbeit der Wirtschaft ziemlich egal. Es geht nämlich viel um Wachstum. Politiker:innen sagen, dass es ein gutes Jahr war, wenn das Bruttosozialprodukt, das BIP gewachsen ist. Das heißt, wenn in Österreich mehr Waren und Dienstleistungen erzeugt wurden, als im Jahr zuvor.
Auch deshalb glaube ich nach einem Tag voller Füreinander-da-sein, ich hätte nichts gemacht – während ich mich an einen Tag mit Arbeit, für die ich bezahlt werde, als „produktiv“ bezeichne.
Aber wer das Geld hat, das ein wachsendes BIP bedeutet, und wem es zu Gute kommt, wie es den Menschen und der Natur geht, das misst das BIP nicht.
Mit fatalen Folgen: Wir befinden uns mitten in einer Klimakrise. Wenn wir weitermachen wie bisher, ist unser „Emissionsbudget“ in etwa fünf Jahren aufgebraucht. Das ist jene Menge an CO2, die wir noch in die Atmosphäre schießen können, bevor wir die 1,5-Grad-Grenze überschreiten.
Das führt zu einer Erderwärmung, bei der die Temperatur durchschnittlich mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegt. Im Durchschnitt 1,5 Grad mehr als in der Zeit, bevor wir Menschen begonnen haben, Kohle und Gas zu verbrennen.
1,5 Grad klingen nicht nach viel, aber Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass ein Überschreiten dieser Grenze zu irreparablen Veränderungen im Weltklima führt. Wenn sie einmal überschritten ist, gibt es also kein Zurück mehr. Alles Leben auf der Erde wäre dann massiv bedroht. Je stärker die weitere Erwärmung, desto gefährlicher wird es.
Das allermeiste gefährliche CO2 kommt dabei aus der Industrie: 100 Unternehmen sind für 70 Prozent aller Emissionen verantwortlich, so eine Studie der Non-Profit-Umweltorganisation CDP. Im Angesicht der Klimakrise kann man also sagen:. Das gewinnorientierte Wirtschaftssystem, das wir vom Globalen Norden aus in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben, trägt ganz zentral und massiv zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen bei.
Stellten wir hingegen die Care-Arbeit ins Zentrum unseres Wirtschaftens, unserer Beschäftigung miteinander, unseres Austausches, würde sich das radikal ändern: Wirtschaft würde dann bedeuten aufeinander aufzupassen. Auf uns selbst, die Menschen um uns herum und auf unseren Planeten. Aber wie bekommen wir das hin?
Klimapolitik sollte Care-Arbeit in den Mittelpunkt stellen, sagen zum Beispiel die Theoretiker:innen Ernest Aigner und Hanna Lichtenberger. Sie schreiben in einem Text zu dem Thema, dass es an der Zeit sei, Pflege als klimafreundlich anzuerkennen. Denn über stationäre Pflege lasse sich zum Beispiel klimafreundlicher und attraktiver Wohnraum für ältere Menschen schaffen. Bis zu 90 Prozent weniger Emissionen kommen von Bewohner:innen eines Pflegeheims im Vergleich zu Pensionist:innen, die alleine wohnen. Wenn Heime also keine Orte mit Personalmangel und Anstaltscharakter wären, könnten sie Teil der Klima-Utopie sein.
Das ist aber nur ein Beispiel, das zeigen kann, was es bedeuten würde, care in den Mittelpunkt unserer Leben zu stellen. Die Feministin Gabriele Winker glaubt, dass eine solche Veränderung des Fokus unsere Gesellschaft ganz grundsätzlich verändern würde. Sie hat sich ein Konzept namens „Care Revolution“ überlegt und fordert, dass Menschen mehr mitbestimmen dürfen, wie ihre Leben organisiert werden. Zum Beispiel Pfleger:innen, die sich aussuchen, wie sie ihre Dienste versehen. Außerdem sagen Winker und andere Feminist:innen, wir brauchen mehr soziale Infrastruktur, gut ausgestattete, kostenlose Gesundheits- und Bildungsinstitutionen, öffentlichen Nahverkehr und leistbaren Wohnraum.
Bei Winkers Idee geht es darum, dass unsere Gesellschaft demokratischer und fairer wird, dass es nicht mehr in erster Linie um Wachstum geht oder darum, was große Konzerne wollen. Dann, davon bin ich überzeugt, würden wir viel besser auf uns, auf den Planeten und auf andere Menschen aufpassen. Ich glaube: Menschen wollen füreinander und für die Umwelt da sein. Aber es wird ihnen gerade sehr schwer gemacht.
Zum Beispiel weil wir den Großteil unserer Zeit mit Arbeit, für die wir bezahlt werden, verbringen (müssen). Winker findet auch deshalb, dass Menschen frei über ihre Zeit verfügen sollten, dass sie also nicht arbeiten müssen, um zu essen und zu wohnen.
Deshalb braucht es weniger lange Arbeitszeiten und ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aus Studien weiß man: Mit einer 4-Tage-Woche würden auch die CO2-Emissionen automatisch sinken.
Arbeiten würde in so einer Welt also heißen, sich umeinander zu kümmern und nicht etwas zu produzieren, das zwangsläufig Profit bringt, also Geld macht.
Das sagen auch andere Feministinnen, zum Beispiel eine Gruppe, die den Begriff “Vorsorgendes Arbeiten” entwickelt hat. Ihre Ansicht: Arbeiten sollte heißen, dass man sich um alles Leben, dass jetzt auf der Erde ist, kümmert, aber auch um das Leben, dass es in Zukunft geben wird. Man darf also nichts machen, das die Zukunft gefährdet – zum Beispiel zu viel CO2 in die Atmosphäre ausstoßen.
Der Fokus auf care würde auch bedeuten, dass wir darüber sprechen müssen, was Leistung, was Produktivität ist. Dabei würde es nicht zuletzt auch um Gerechtigkeit gehen. Die Frage wäre dann: Wie können wir Arbeit neu definieren? Was bedeutete es im Sinn von care, etwas zu schaffen? Wer hat ein Recht darauf für seine Arbeit bezahlt zu werden, gut zu leben?
Die Antwort darauf ist klar: Alle.
Care ins Zentrum zu stellen, das ist ein Teil der Antwort auf die Frage, wie wir aus der Klimakrise kommen. Wir müssen unser Zusammenleben ganz grundlegend neu denken. Wir brauchen eine Wirtschaft, die unseren Planeten und die Leben von Menschen nicht mehr kaputt macht. Wachstum, Produktivität, Leistung können nicht mehr das Maß aller Dinge sein. Das halte ich, gerade jetzt, mitten in den vielen Krisen unserer Zeit, für möglich.
In so einer Welt würde ich stolz erzählen, was ich an einem Tag wie jenem, den ich im Kaffeehaus kleinrede, erlebt habe. Dass ich für jemanden da war. Und für mich selbst.