Ungleiche Gefahr: Warum Menschen mit Behinderungen bei Katastrophen besonders gefährdet sind

Forscher Friedrich Gabel spricht über den blinden Fleck des Katastrophenschutzes, warum dieser alle Menschen im Blick haben sollte und warum Barrierefreiheit vielleicht nicht immer das richtige Wort ist. Lesezeit: 5-6 Minuten.
Porträt von Friedrich Gabel. Er trägt braune Haare im Zopf, eine Brille und einen braunen Bart. Er lächelt frontal in die Kamera.

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Friedrich Gabel forscht an der Universität Tübingen zum Thema Sicherheit mit Schwerpunkt im Bereich Katastrophen-Schutz. Dabei schaut er besonders auf Menschen mit Behinderungen.

andererseits: Im Katastrophenschutz wird häufig von “vulnerablen”, also verletzlichen Gruppen gesprochen. Wer ist das?

Gabel: Wenn wir über “Vulnerable” sprechen, dann sind damit meist Frauen, Menschen mit Behinderungen, Kinder, alte Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund etc. gemeint. Und wir können uns die Frage stellen: Wer bleibt dann eigentlich noch übrig, der nicht vulnerabel ist?

Menschen mit Behinderungen werden zudem oft in eine vulnerable Position gedrückt und es heißt, sie seien hilflos. Menschen mit Behinderungen sind aber vielfältig, nicht nur in dem, wo sie Hilfe benötigen, sondern auch dahingehend, wie sie auf Katastrophen vorbereitet sind.

Sollen wir dann den Begriff der Vulnerabilität oder Verletzlichkeit im Katastrophenschutz überhaupt verwenden?

Grundsätzlich ja, denn Vulnerabilität sagt: Manche Menschen brauchen besonderen Schutz oder Hilfe. Das sollte bei der Verteilung von Hilfen berücksichtigt werden.

Das Problem ist, wenn Vulnerabilität nur bestimmten Personen zugeschrieben wird und diese nur als Opfer gesehen werden.

Dabei kann jede Person in Situationen kommen, wo er oder sie vulnerabel ist. Je nachdem, wie es uns gerade geht und in welcher Tagesverfassung wir sind. Oder ob wir grundsätzlich mit Problemen zu kämpfen haben, wie es uns finanziell geht. Ebenso können wir durch inklusive Vorsorge verhindern, dass Menschen vulnerabel werden.

Was würde das bedeuten?

Für einen inklusiven Katastrophenschutz gibt es nicht die eine Strategie, die uns zum Ziel führt.

Wir müssen das aushandeln. Und Menschen mit Behinderungen müssen in diesem Prozess unbedingt dabei sein. Ob jetzt in jedem Krisenstab Menschen mit Behinderungen sitzen sollten, weiß ich nicht. Aber Menschen mit Behinderungen müssen grundsätzlich in allen Schritten mitreden, mitwirken und mitentscheiden.

Das Problem ist, dass es in der Vorsorge vielfach heißt: “Wir müssen uns zuerst einmal um die große Mehrheit der Bevölkerung kümmern, und dann schauen wir uns andere Gruppen an, die eher am Rande stehen.”

Was sollte das Ziel eines inklusiven Katastrophenschutzes sein?

Wir können Katastrophen nicht verhindern und wir können die Opfer, die sie fordern, nicht komplett verhindern. Was wir aber verhindern können, ist, dass manche Bevölkerungsgruppen viel stärker davon betroffen sind. Laut UN leben Menschen mit Behinderung mit einer vierfach höheren Bedrohung, dass sie Opfer von Katastrophen werden oder dass sie sogar in Katastrophen sterben.

Was war das Problem im Ahrtal?

Ich schätze das Ahrtal als ein Systemversagen ein. Die Menschen hätten der Situation nicht zum Opfer fallen müssen. Es gab ja eine Warnung. Aber sie hatten nicht die Möglichkeit damit umzugehen. Und dann gibt es noch viele Barrieren im Alltag für Menschen mit Behinderungen. Das gemeinsam führt dazu, dass die Bedrohungslage für sie viel, viel höher ist.

Ich denke auch, dass “Barrierefreiheit” da eigentlich der falsche Begriff ist. Er legt nahe, dass wir mit einer bestimmten Maßnahme (etwa dem Bau einer Rampe) alle Barrieren abgebaut hätten. Inklusion ist aber vielmehr eine Zielvorstellung. Sie fordert, dass wir Strukturen kritisch hinterfragen.

Je mehr wir es schaffen, generelle Barrieren im Alltag abzubauen, umso besser sind wir in Katastrophen fähig zu reagieren. Wir sollten dahin kommen, dass Menschen mit Behinderungen in Katastrophen selbst nicht mehr hilflos sind.

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Interview von Emilia Grabsch

Redaktion: Lisa Kreutzer

Lektorat: Claudia Burnar

Foto: privat

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