Unser Autor Josef Hochmeister wohnt seit vier Jahren in einer eigenen Wohnung. Das ist ihm sehr wichtig. Doch das Ausziehen von Zuhause war schwer.
Nach der Arbeit fahre ich heim und schau Fernsehen und Nachrichten, danach tanze ich in meiner Wohnung oft Polka. Das Tanzen habe ich mit siebzehn in der Tanzschule Elmayer gelernt, und ich hab damals auf einem Ball getanzt, das ist lang her. Im Haus meiner Familie habe ich nie getanzt.
Vor vier Jahren bin ich aus dem Haus meiner Eltern, dem Haus wo ich aufgewachsen bin, ausgezogen. Das war schwierig. Meine Eltern wollten mich bei sich behalten. Aber ich wollte Freiheit und ich musste viel darum kämpfen.
“Du schaffst das nicht”
Mein Alltag jetzt ist schön und herrlich. Ich steh jeden Tag um 6 Uhr auf, dann frühstücke ich Joghurt oder Butterbrot und ich trinke Tee. Dann geh ich fort, ich fahre mit der Straßenbahn in die Firma, die MIT- Gruppe, die ist in Simmering und eine Werkstatt von der Lebenshilfe. Dort arbeite ich. Ich lese E-Mails, und weiß dann, was los ist. Einmal in der Woche wasche ich meine Wäsche.
Als ich ausziehen wollte, haben meine Eltern gesagt: “Das schaffst du nicht, dass du alleine wohnst.” Aber ich habe gesagt: “Ich schaffe das.” Sie haben es mir nicht zugetraut. Ich habe sie überredet: Eva hat mir geholfen. Eva ist meine Unterstützung. Ich kenne sie von der Arbeit. Sie ist die Leiterin der Firma. Sie hat zu meinen Eltern gesagt, dass ich das schaffe. Die haben weiterhin gemeint, dass ich das nicht schaffe, Ich weiß nicht mehr, was sie dann gemacht haben. Aber am Ende haben sie zugestimmt.
Angebranntes Gulasch
Dann bin ich ausgezogen. Am Anfang war das ungewohnt. Es war schwierig umzuziehen. Ich hatte sehr viele Sachen. Aber meine Brüder haben mir geholfen. Ich habe alles neu gekauft außer den Fernseher, den hab ich von daheim mitgenommen. Ich hatte auch viel Gewand beim Umziehen. Meine Schwester und ich waren beim KIKA und sie hat mir auch beim Umziehen geholfen.
Meine Brüder haben gesagt, ich schaff das nicht mit der eigenen Wohnung, und dass ich daheim bleiben soll. Aber ich hab es geschafft.
Es war auch schwierig alleine zu wohnen. Am Anfang hab ich beim Kochen viel falsch gemacht, dann ist mir alles angebrannt. Gulasch zum Beispiel. Aber ich habe es gelernt. Ich bin in eine Kochgruppe gegangen. Jetzt kann ich kochen. Ich mache gern Kohlrabi, Schnitzel, Palatschinken mit Zucker oder Marmelade, und Gugelhupf. Ich backe am liebsten Apfel-, Topfen und Nussstrudel. Ich bin ein Kochstar. Fisch koch ich auch, Lachs mag ich besonders gern.
Unterwegs mit Heidi
Die Umstellung war schwierig, zum Beispiel so viel alleine zu sein. Aber ich habe meine Familie nicht vermisst. Ich habe mich gefreut, frei zu sein. Sie wohnen auch in der Nähe. Ich kann zu Fuß hingehen und ich kann hinkommen, wann ich will. Am Wochenende, am Sonntag, gehe ich sie besuchen, dann gehen wir gemeinsam spazieren. Ich sage ihnen, wie es mir geht und sie sagen nichts. Aber es ist schön sie zu sehen. Ich sehe sie auch an Feiertagen.
Meine Wohnung ist schön, sie ist zum Hof ausgerichtet und in der Nähe von Schönbrunn in Meidling. Man kommt als erstes in die Küche, dort ist eine Eckbank und ein Fernseher. Von der Küche kommt man weiter ins Schlafzimmer. Dort stehen ein Bett, ein Nachtkastl, ein Schrank für mein Gewand und ein graues Sofa. Ich hab auch noch ein Wohnzimmer.
Einsam fühl ich mich nie, weil ich bin immer unterwegs. Ich hab auch seit 16 Jahren eine Partnerin, sie ist meine Freundin und heißt Heidi. Sie besucht mich oft in meiner Wohnung. Sie wohnt mit ihrer Mutter im zweiten Bezirk. Sie hat kurze graue Haare. Heidi ist schön und geht oft fort mit mir. Wir gehen zum Beispiel der Blasmusik zuhören, oder ins Kaffeehaus. Heidi ist schon in Pension. Ich mag an der Heidi, dass sie immer unterwegs ist und frei hat.
Ich wollte Freiheit, deshalb bin ich ausgezogen. Freiheit bedeutet frei sein wie ein Vogel, fortgehen zu können, andere Leute zu treffen. Zum Beispiel meinen Freund, den Nachbar. Freiheit bedeutet auch Politik, also davon zu lesen und darüber im Fernsehen Berichte anzuschauen. Und Freiheit bedeutet auch Fern Schauen – so lange ich will.
Wohnsituation von Menschen mit Behinderung
- Menschen mit Behinderung leben nur selten selbstständig und noch seltener alleine in einer Wohnung. Genaue Zahlen über ihre Wohnsituationen gibt es jedoch nicht.
- Schätzungen zufolge leben die meisten jedoch bei ihren Familien oder in (teil-)betreutem Wohnen.
- Die Caritas bietet in Österreich 16.244 Betreuungsplätze für Menschen mit Behinderung an. 1.699 Menschen mit Behinderung leben in betreuten Wohneinrichtungen. Die Lebenshilfe Österreich gibt an, etwa 11.000 Menschen mit Behinderung zu begleiten.
- Dazu kommen innovative Ansätze wie inklusive WGs. Das Projekt WOHN:SINN betreibt eine Online-Börse, um solche WG-Plätze zu vermitteln.
- Das verläuft nicht immer problemlos. In einer Umfrage der Statistik Austria zu Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, gaben 12,6 Prozent der Befragten an, ständige Probleme in der Wohnung oder im Haus zu haben.
- Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention sichert Menschen mit Behinderung aber in der Theorie zu, dass alles versucht wird, ihre Wünsche zu realisieren. Das gilt auch für ihre Wohnsituation.
Text: Josef Hochmeister, unterstützt von Katharina Brunner, Katharina Kropshofer, Clara Porak
Grafik: Theresa Maria Dirtl