Wie fühlt sich Long-Covid an?

Seit ein paar Jahren wird viel von Long-Covid gesprochen. Aber wie fühlt es sich an, damit zu leben? Wir haben Menschen gebeten, ein Tagebuch zu führen.
Illustration eines Notizblocks auf dem steht: Mein Long-Covid Tagebuch

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Lesezeit: 20 Minuten

von Emilia Garbsch, Artin Madjidi und Lisa Kreutzer

Seit ein paar Jahren wird viel von Long-Covid gesprochen. Aber wie fühlt es sich an, damit zu leben? Wir haben drei Menschen gebeten, ein Tagebuch zu führen. Über fünf Monate hinweg haben sie uns 2023 einmal im Monat geschrieben – und kurz vor der Veröffentlichung dieses Jahr noch einmal. andererseits hat ihre Berichte gelesen, zusammengefasst und in einfache Sprache gebracht.

Dieser Text ist der erste von dreien, die wir in den nächsten Wochen zu Long- Covid veröffentlichen. andererseits hat über viele Monate recherchiert um herauszufinden: wie ist ein Leben mit Long-Covid und warum gibt es so wenig Hilfe für Betroffene?

 “Long Covid” ist ein Wort für Langzeitfolgen nach einer COVID-19 Erkrankung. Die Folge sind oft Schwierigkeiten mit dem Atmen, Erschöpfung, Schmerzen und Gedächtnis- Probleme. Aber Long Covid ist ein Überbegriff für verschiedene Arten von Langzeitfolgen. Den Betroffenen geht es sehr verschieden. Manche haben nur für einige Wochen Beschwerden. Long Covid kann man aber auch lange oder für immer Folgen haben. Dann ist Long Covid eine Behinderung.

Auch die Geschichten von den Menschen, die für uns Tagebuch geschrieben haben, sind sehr verschieden. Aber alle drei zeigen, wie stark Long-Covid das Leben verändert.

„Ich gebe nicht auf.“

Brigitte, 26 Jahre alt, lebt in Luxemburg. Sie hat früher als Masseurin gearbeitet und ist seit Oktober 2022 krank.

Brigitte sagt, sie wurde von Ärzt*innen falsch behandelt. Das habe ihre Krankheit verschlimmert. Sie wünscht sich, dass auch unsichtbare Behinderungen wie ihre ernster genommen werden.

Blick vom Bett auf ein Bücherregal vor einer roten Wand. Ein Sessel und ein Vorhang zum Fenster

„Ich schreibe euch von meinem Zimmer aus. Hier bin ich viel. Mein Zimmer gibt mir Sicherheit.“

April 2023

Jede Anstrengung kann meinen Zustand schlimmer machen. Ich war in einer Reha. Also eine Behandlung, bei der man mehr Betreuung hat.

Ich habe einen vollen Stundenplan bekommen. Vier Stunden hintereinander. Ich wurde nicht gefragt, ob das geht. Jetzt kann ich oft nur im Bett liegen. Den ganzen Tag. Alles andere ist zu anstrengend.

Mein ganzer Körper tut mir weh. Ich habe Schmerzen und fühle mich, als hätte ich eine heftige Grippe. Sogar essen ist anstrengend. Den Löffel zum Mund heben braucht Kraft. Ich bin ein Pflegefall geworden.

Mai 2023

Vor der Reha war ich auch in keinem guten Zustand. Aber jetzt kann ich nur noch 20 Meter gehen. Ich kann nur sehr langsam sprechen. Ich bin hilflos.

Emotional herrscht Gefühls-Chaos bei mir. Manchmal lache ich. Oft bin ich traurig und wütend. Weil ich mich machtlos fühle. Ich mache mir Sorgen. Ich weine viel. Ich würde so gerne Freund*innen treffen oder wieder arbeiten gehen können. Ich mag meine Arbeit so. Ich wünsche mir auch noch mehr staatliche Hilfe. Und ich wünsche mir mein altes Leben wieder zurück.

Ohne meine Familie wüsste ich nicht, wie ich über die Runden komme. Gerade bekomme ich Unterstützung von der Krankenkasse, aber ich weiß nicht wie lange noch.

Juli 2023

Ich bin in keiner Reha mehr, die einen nicht versteht und kaputt macht. Aber ich mache viele Behandlungen und bin bei vielen Ärzt*innen. Ich habe Dinge gefunden, die mir helfen. Manchmal geht es bergauf. Dann wieder bergab. Paar Schritte vor, paar Schritte wieder zurück. Mein Körper muss viel arbeiten. Ich gebe nicht auf.

August 2023

Ich habe mittlerweile viele Crashes hinter mir. So nennt man das, wenn einem alles zu anstrengend wird. Jeder Crash ist gefährlich. Er kann negative Folgen haben, die für immer bleiben. Ein Schnupfen genügt, damit mir das passiert. Einmal musste ich in die Notaufnahme.

Mittlerweile kann ich nur noch im Rollstuhl raus. Ich wünsche mir, dass Long Covid ernst genommen wird. Man wird so komisch angeschaut, wenn man im Rollstuhl sitzt und man einem nicht ansieht, dass man krank ist.

“Ich habe eine neue Sicherheit in meinem Körper.”

Barbara, 26 Jahre alt, Studentin in Kärnten – ist im Oktober 2021 erkrankt.

Den meisten Menschen mit Long-Covid geht es irgendwann wieder besser. Barbara ist eine von ihnen. Trotzdem hat die Krankheit sie für immer verändert. Sie hätte sich gewünscht, mehr Geschichten wie ihre zu hören.

Selfie von einer jungen Frau mit hellblauen Shirt und weisser Kappe

Juni 2023: Ich in einem Cafe. Von hier aus schreibe ich euch heute

April 2023

Die Krankheit hat mein Leben grundlegend verändert. Ich war früher ein sehr aktiver Mensch. Das war am Anfang extrem schwierig für mich. Ich habe mich unglaublich hilflos und schwach gefühlt. Ich konnte nicht fassen, dass Kleinigkeiten mich unglaublich anstrengen. Zum Beispiel Stiegensteigen, Einkaufen oder Putzen.

Ich hatte riesige Angst, dass ich nie wieder gesund werde. Deshalb war es für mich jedes Mal ganz furchtbar, wenn ich in den Medien einen Bericht über Long Covid gesehen habe. Den Menschen in den Berichten ist es fast immer wirklich schlecht gegangen. Viel schlechter als mir. Ich hatte Sorgen, dass es bei mir auch in diese Richtung gehen könnte. Deshalb finde ich es wichtig, auch positive Geschichten zu hören. Dann hat man das Gefühl, noch irgendein Mitspracherecht und Handlungsmöglichkeiten zu haben. Sonst hat man nur Angst.

Meine Geschichte ist eine positive Geschichte. Mir hat eine Reha sehr geholfen. Das ist eine Art der Behandlung. Dabei wird man enger betreut. Die Reha hat mich nicht gesund gemacht. Aber ich habe dort begonnen zu lernen, wirklich auf meinen Körper zu hören.

Und ich habe eine Psychotherapie begonnen, um mit meiner Situation und mit Gefühlen wie Angst und Hilflosigkeit besser umgehen zu können. Dort habe ich gelernt, gut zu mir zu sein und mir Pausen zu erlauben. Ich habe Entspannungsübungen entdeckt. Erst da hatte ich wirklich das Gefühl, dass es doch wieder bergauf gehen könnte.

Juni 2023

Ein wichtiger Moment war eine Reise mit meiner Universität nach München. Da hatte ich weniger Kontrolle über meinen Tagesablauf. Ich hatte Sorge, dass ich das nicht aushalte. Aber ich konnte die Reise sogar genießen. Das hat mich stolz gemacht. Ich habe eine neue Sicherheit in meinem Körper.

August 2023

Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass jetzt etwas anders (und besser) ist. Bei vielen alltäglichen Dingen habe ich mir fast schon aus Gewohnheit Sorgen gemacht. Heute muss ich das nicht mehr. Ich kann mich wieder mehr spüren. Ich frage mich zum Beispiel nicht bei jeder Kleinigkeit, ob ich Energie dafür habe. Ich mache einfach. Die vorsichtige, nachdenkliche Stimme in mir ist sehr leise geworden.

Das heißt nicht, dass ich aufhöre, auf meinen Körper zu hören. Im Gegenteil. Ich bin öfters noch sehr müde – aber auf die gute Art, nicht auf die Long-Covid- Art. Ich spüre dann Erschöpfung. Aber sie geht weg, wenn ich mich ausruhe.

Die Krankheit war ein Bruch in meinem Leben. Ich habe mich eineinhalb Jahre als krank bezeichnet. Inzwischen würde ich das nicht mehr tun.

Februar 2024

Im letzten halben Jahr hat sich Einiges getan. Viele schöne Dinge sind passiert und ich habe viel Neues ausprobiert. Zum Beispiel bin ich in einen Tanzkurs gegangen. Das hat mir sehr geholfen, Sport und Bewegung wieder richtig genießen zu können. Ich kann auch neben der Uni arbeiten und bin viel weniger schnell überfordert. Manchmal ist es trotzdem anstrengend und alles wird mir ein bisschen zu viel, aber meistens geht es mir gut.

Ich brauche immer noch mehr Pausen als früher und manche Sachen kann ich immer noch nicht so gut machen – zum Beispiel sehr anstrengenden Sport, ganz viel arbeiten oder ganz lange feiern gehen. Aber das ist eigentlich fast immer okay für mich. Ich mag, dass mein Leben ruhiger ist als früher. Und ich versuche, mich immer ein bisschen zu steigern, Schritt für Schritt.

Allen, die ähnliche Sachen erleben wie ich, möchte ich Mut machen. Es dauert manchmal ziemlich lange, es geht auf und ab und man braucht viel Geduld. Aber es kann besser werden. Und damit es besser werden kann, ist es ganz wichtig, sich Ruhe und Entspannung zu gönnen. Davor sollte man keine Angst haben – egal, ob man Long Covid hat oder nicht.

“Ich lerne, meine Kraft einzuteilen.”

Lisa-Marie, 24 Jahre alt, studiert in Wien – seit März 2022 krank.

Lisa-Marie hat gelernt mit ihrer Krankheit umzugehen. Trotzdem begleitet sie Long-Covid jeden Tag. Sie wünscht sich, dass mehr über ihre Krankheit gesprochen wird.

„Ein Foto von Medikamenten, die ich nehme.“

April 2023

Nachdem ich Corona hatte, war ich ständig erschöpft und außer Atem. Ich hatte Schwindel, Herzrasen und Schmerzen. Dann bin ich zu vielen Ärzt*innen gegangen. Ich wurde mit einem „ist womöglich die Psyche“ abgewimmelt. Sie dachten, ich bilde mir das ein. Es hat ein halbes Jahr gebraucht, bis eine Ärztin gesagt hat: “Das ist vielleicht Long Covid.”

Heute weiß ich: Ich habe mehrere Krankheiten. Zwei davon heißen POTS und MCAS. Diese Krankheiten sind nicht heilbar. Sie verändern viel in meinem Leben. Jede Anstrengung ist zum Beispiel gefährlich für mich. Sie kann dazu führen, dass es mir noch schlechter geht.

Wenn es zu viel wird, kann ich kaum mehr aufstehen. Die Schmerzen und der Schwindel sind dann unerträglich. Jedes Mal gibt es die Gefahr, dass es mir dann nicht nur kurz schlechter geht. Sondern für immer.

Mai 2023

In schlechten Zeiten liege ich fast nur im Bett. Ich habe Behandlungsmethoden und Medikamente gefunden, die mir helfen. Meine Belastungs-Grenze ist dadurch etwas gestiegen. Aber Kopfweh und schmerzende Gelenke gehören zu meinem Alltag. Ich kann ab und zu an die Uni gehen und sogar ein paar Stunden arbeiten. Zwei- bis dreimal die Woche schaffe ich es aus der Wohnung für Termine. Aber mehr als ein Termin pro Tag geht meist nicht. Danach muss ich mich erholen. Zum Teil mehrere Tage lang.

Ich bleibe dann im Bett. Ich höre Musik oder lese etwas. Aber es ist mir zuwider, meine Freizeit mit Ausruhen verbringen zu müssen. Ich versuche jetzt meine Behinderung besser zu verstehen. Ich lerne, meine Kraft einzuteilen. Ich bin seit zwei Jahren krank und gewöhne mich langsam an mein “neues Leben.”

Juni 2023

Mein Körper zeigt es mir recht zuverlässig, wenn ich über meine Grenzen gehe. Dann habe ich Schmerzen, auch wenn ich nur im Bett liege. Im Sommer hatte ich Probleme mit der Hitze. Mein Körper war schnell überfordert. Ich musste mich noch mehr ausruhen.

Es ist schwer meine Freund*innen zu sehen. Sie sind viel unterwegs. Früher war ich das auch. Ich konnte jetzt einmal zu einem Konzert im Freien gehen. Das hat mich sehr glücklich gemacht. Aber ich bin jedes Mal aufs Neue frustriert, wenn mein Körper bei einem „normalen“ Alltag einfach nicht mithalten kann. Ich muss den Großteil meiner Freizeit mit auszuruhen verbringen. In den Urlaub fahren wäre für mich mehr Erschöpfung als Erholung.

August 2023

Ich wünsche mir, dass sich die Versorgung von chronisch kranken und behinderten Menschen endlich verbessert. Vor allem von Personen mit Long- Covid-Erkrankungen oder PostVac. Also Menschen, die durch eine Impfung krank werden. Es braucht viel mehr Geld für die Forschung zu diesen Krankheiten.

Wir müssen endlich ernst genommen werden. Wir brauchen mehr Rücksicht. Wenn wir nochmal Corona bekommen, kann das schlimme Folgen für uns haben.

Das Bewusstsein ist etwas gestiegen. Aber viele Erkrankte fühlen sich immer noch sehr im Stich gelassen. Ich auch. Für die meisten Menschen ist die Pandemie vorbei und ihr Leben geht normal weiter. Für Long-Covid-Erkrankte ist das eine Wunschvorstellung. Long Covid begleitet mich, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

Februar 2024

Seit Herbst geht es mir leider wieder schlechter. Ich bin seit Oktober großteils hausgebunden, zum Glück gibt es aber immer mehr Therapie-Möglichkeiten (neue Medikamente in meinem Fall), die ich nach und nach versuche. Uni muss ich nun leider für ein Semester pausieren, weil ich mich auf die Behandlungen konzentrieren möchte und mich schonen muss. Auch gibt es immer mehr Betroffene und Selbsthilfegruppen. Der Austausch untereinander hilft enorm.

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