Was ist Liebe, Laura Holder? 

14. Juni 2022

  Ein Text über Liebe von Laura Holder, beschrieben in […]

 

Ein Text über Liebe von Laura Holder, beschrieben in einfacher Sprache von Tanja Blum. 

Als Hebamme erlebt Laura Holder jeden Tag Liebe, als Autorin schreibt sie darüber. Wir haben sie gefragt: Was ist denn nun Liebe? Im Podcast hat sie geantwortet. Aber es hat nicht gereicht, denn Liebe ist so viel. Darum hat sie diesen Text geschrieben. 

Was ist Liebe? Vielleicht kenne ich kleine Teile der Antwort. Ich glaube, ich weiß, wie sich Liebe für mich anfühlt. Aber wie kann ich sicher sein, dass dieses Gefühl wirklich Liebe ist? Auch beim Orgasmus habe ich mich immer gefragt: Ist das jetzt wirklich ein Orgasmus? Oder fühlt es sich gerade einfach nur richtig gut an? 

In unserer Gesellschaft wird viel über den weiblichen Orgasmus erzählt: Irgendetwas passiert beim Orgasmus in unserem Gehirn. Bestimmte Hormone werden ausgeschüttet und die Beckenboden-Muskeln und Vaginal-Muskeln ziehen sich 8 bis 12 mal zusammen. Aber was ist, wenn sich meine Muskeln nur 6 oder 7 mal zusammen-ziehen? Ist das dann kein Orgasmus? Was ist, wenn ich beim Orgasmus nicht laut schreie? Wenn ich immer ruhiger werde, je besser es sich anfühlt? Was ist, wenn ich durch Penetration komme? Also wenn jemand oder etwas in mich eindringt? Nur ein Drittel der Frauen in Beziehungen mit Männern kommen durch Penetration. Sind Beziehungen zwischen zwei Menschen außerdem nicht schon veraltet? Und warum habe ich eine von diesen Beziehungen? Weil ich mit solchen Vorbildern aufgewachsen bin und so erzogen wurde? Oder hat es andere Gründe? Sollten Menschen nicht mehrere Partner*innen gleichzeitig haben können?

Ich war mir lange Zeit nicht sicher: Ist das, was ich fühle, wirklich Liebe? Und ist das, was ich unter Liebe verstehe, wirklich Liebe? Deswegen habe ich mich auf die Suche nach Antworten gemacht. Ich habe versucht, meine Gefühle ganz genau zu spüren. Ich habe versucht, die verschiedenen Gefühle klar zu unterscheiden. Ich habe viel über meine Gefühle nachgedacht und Vieles davon aufgeschrieben. Ich habe Bücher zum Thema Liebe von verschiedenen Autor*innen und Denker*innen gelesen. Ich habe mit Freund*innen über dieses Thema geredet. Ich habe die Dating-App Tinder ausprobiert. 

„Baby gib mir mehr von dem, was du Liebe nennst.“ 

(Aus dem Lied: „Was Du Liebe Nennst“ von Bausa)

Die unerwiderte Liebe

Weil ich mich so viel mit Liebe beschäftigte habe, habe ich mit dem Gedichte schreiben angefangen. Aber auch, weil das meinem gebrochenen Herzen gut getan hat. Diese Gedichte kann man jetzt in meinem Buch lesen. Es sind Gedicht über eine bestimmte Art der Liebe: Die unerwiderte Liebe. Die Person, die ich geliebt habe, hat mich nicht geliebt. 

Irgendwann ist mir aufgefallen: Viele andere Menschen haben sich in meinen Gedichten wiedererkannt. Viele hatten schon ähnliche Erfahrungen gemacht. Und viele hatten ähnlich gefühlt. Durch die ähnlichen Erfahrungen fühlten wir uns einander sehr nahe.

Ich kann die Liebe jetzt immer noch nicht beschreiben. Aber ich kann ein bisschen mehr dazu sagen. Liebe ist eine bestimmte Idee oder Vorstellung. Liebe bringt noch viele andere Gefühle mit sich. Liebe kann Schmerz, Enttäuschung und Trauer auslösen. Liebe tötet, zumindest nennen sie manche als Grund für Mord. Sie ist aber auf keinen Fall der Grund für den Mord an Frauen. Liebe ist politisch. Liebe kommt in Liedern und in Gedichten vor. Liebe macht vieles möglich. Religiöse, politische und staatliche Grenzen halten die Liebe nicht auf. Und wenn man wirklich offen liebt, dann kann Liebe auch Barrieren in den Köpfen auflösen.

Hier gibt es Informationen zu Laura Holders Buch „Versuch, dich abzuschreiben“. Erschienen bei mikrotext (Oktober 2021)

Laura Holder wurde 1992 in Wien geboren. Sie ist Autorin, Studentin und Hebamme. Gerade arbeitet sie im Hebammen-Zentrum in Wien. Sie berät Menschen während und nach der Schwangerschaft und ist vor allem in der BIPoC- Community tätig.

„Whenever I am alone with you, you make me feel like I am home again“ 

„Immer, wenn ich mit dir allein bin, gibst du mir das Gefühl, wieder Zuhause zu sein.“

(Aus dem Lied „Lovesong“ von The Cure)

Die Mutterliebe

Als Hebamme habe ich viele Geburten in einer großen Geburtsklinik in Österreich begleitet. Dabei habe ich viele Paare beobachtet. Ich habe gesehen, wie aus Paaren eine Familie wurde. Ich habe den Moment beobachtet, in dem Personen zu Mamas, Papas oder Eltern wurden. Dabei hat mich vor allem ein Thema beschäftigt. Ich denke, das ist ein sehr politisches Thema. Es geht dabei um eine besondere Form der Liebe: Die Mutterliebe

Viele Menschen denken: Mutterliebe ist selbstverständlich. Aber ist sie das? Nach jedem Treffen mit frischgebackenen Müttern frage ich mich: Warum denken so viele Frauen, dass sie schlechte Mütter sind? Sie machen ihre Sache gut. Trotzdem denken sie, dass sie zu wenig für ihr Kind tun. Sie denken, dass sie ihr Kind zu wenig lieben. Nur wenige Mütter trauen sich zu sagen: Das Mutter-Sein ist ganz anders, als sich es mir vorgestellt habe. Manchmal bereue ich es, Mutter geworden zu sein. Oder: Es ist schwierig für mich, wenn mein Alltag so stark von meinem Kind bestimmt ist. Es ist schwierig, wenn mein Alltag so fremd-bestimmt ist. 

Die Gesellschaft sagt uns: Als Mutter muss man glücklich sein. Aber was ist, wenn eine Mutter nicht immer glücklich ist? Dann denkt diese Mutter wahrscheinlich, dass sie keine gute Mutter ist, oder?

Viele Menschen denken außerdem immer noch: Frauen müssen sich um die Menschen in ihrem Umfeld kümmern. Das ist die Aufgabe der Frauen. Das macht eine Frau wertvoll. In Österreich übernehmen immer noch Frauen den größten Teil der unbezahlten Sorge-Arbeit. Zu unbezahlter Sorge-Arbeit gehört zum Beispiel das Versorgen der Kinder oder das Kümmern um den Haushalt. 

Aber was ist, wenn eine Frau nicht für andere Menschen da sein möchte? Was ist, wenn sie einfach für sich selbst da sein möchte? Und für ihren Beruf oder ihre Träume? Wer macht dann die Sorge-Arbeit? Was bedeutet das für den Wert der Frau? Und warum haben Männer es einfacher, sich um ihren Beruf und ihre Träume zu kümmern?

Laura Holder im Gespräch mit andererseits-Redakteurin Luise Jäger

Was ich mir wünsche

Ich wünsche mir, dass in unserer Gesellschaft mehr über solche Themen gesprochen wird. 

Ich wünsche mir auch, dass Menschen einer schwangeren Person nicht einfach so Ratschläge zur Kinder-Erziehung geben. Sie sollen einer schwangeren Person nur Ratschläge geben, wenn die schwangere Person danach fragt. 

Ich wünsche mir, dass schwangere Personen wissen, wo sie Antworten auf ihre Fragen bekommen können. Auf Fragen zur Schwangerschaft, zur Geburt oder zur Zeit nach der Geburt. 

Ich wünsche mir, dass niemand Horror-Geschichten von Geburten erzählt. 

Ich wünsche mir, dass niemand einfach so den Bauch einer schwangeren Person streichelt. Eine schwangere Person soll selbst entscheiden können: Wer darf sie berühren und wer nicht? 

Ich wünsche mir, dass Schwangere anderen Schwangeren ganz offen und ehrlich von ihren Ängsten erzählen. Es gibt Personen, die unbedingt schwanger werden wollten. Sie können sich in der Schwangerschaft trotzdem schlecht fühlen. Sie können trotzdem depressive Schwangerschaften haben. Manchmal kann es auch einfach scheiße sein, wenn man immer für jemanden da sein muss. Es kann scheiße sein, wenn man sich immer zuerst um die Bedürfnisse von anderen Menschen kümmern muss. Und wenn die eigenen Bedürfnisse immer erst am Schluss kommen. Ich wünsche mir, dass wir mehr über solche Themen sprechen können. 

Ich wünsche mir auch, dass Alleinerziehende mehr Geld vom Staat bekommen. 

Ich wünsche mir, dass mehr Väter in Elternzeit gehen. Dass mehr Väter in der Zeit nach der Geburt Zuhause bleiben und die Mütter wieder arbeiten gehen können. Das bedeutet aber auch: Frauen müssen besser bezahlt werden. Denn Frauen verdienen auch heute noch weniger als Männer. Deswegen können sich Familien oft nicht leisten, dass Väter in Elternzeit gehen. 

Ich wünsche mir, dass wir Menschen nicht nur in Männer und Frauen unterteilen. Ich wünsche mir, dass wir alle verstehen: Es gibt nicht nur zwei Geschlechter. Es gibt noch viel mehr. Manche Menschen sind oder fühlen sich nicht als Mann oder Frau. Andere schon. Erst wenn wir das verstehen, können sich alle Menschen als ein Teil unserer Gesellschaft fühlen. Verstehen reicht aber nicht aus. Wir müssen auch unsere Sprache ändern. Denn wenn wir nur die männliche und weibliche Form von Worten nutzen, dann schließen wir Menschen aus. Wir müssen also unsere Sprache ändern, um alle Menschen einzuschließen. Wenn wir unsere Sprache ändern, dann ändern wir auch unser Denken. Denn dann denken wir beim Sprechen an alle Menschen und nicht nur an Männer und Frauen. Vielleicht ändern wir so auch das Denken von den Menschen, mit denen wir sprechen. Und so verändern wir die Wirklichkeit. 

Ich wünsche mir außerdem, dass Gefühle in politischen Diskussionen mehr Platz bekommen. Denn Gefühle sind politisch. Gefühle zeigen deutlich, wenn etwas schief läuft. 

Ich wünsche mir eine andere Sicht auf Männlichkeit. Männlich sein kann auch bedeuten, zu weinen und zu seinen Gefühlen zu stehen. Ich wünsche mir, dass niemand von Männern erwartet: Sie sollen arbeiten gehen und die Familie ernähren. Das ist nicht allein die Aufgabe der Männer.

Ich wünsche mir, dass Väter für ihre Kinder da sein können und wollen. 

Ich wünsche mir, dass man Kindern beibringt, sich mit ihren Gefühlen auseinander zu setzen und die Gefühle ernst zu nehmen. 

Ich wünsche mir, dass alle Menschen das bekommen, was sie wollen und brauchen.

„What is love, Baby don´t hurt me.“ 

„Was ist Liebe, Baby, tu mir nicht weh.“

(Aus dem Lied: „What Is Love“ von Haddaway)

Miteinander sprechen

Ich habe Paare während der Geburt beobachtet. Ich habe gesehen, wie sie miteinander umgegangen sind. Dabei habe ich mir vorgestellt, wie ihre Beziehung ist. Manche Partner*innen waren am Handy, während die gebärende Person starke Wehen hatte. Vielleicht war die Liebe der Person am Handy so groß, dass sie die gebärende Person nicht ansehen konnte? Vielleicht war das so abgesprochen? Ich glaube nicht. Und ich finde so ein Verhalten nicht in Ordnung. Ich glaube, diese Paare haben einfach nicht genug miteinander gesprochen.

Ich habe mich auch immer wieder gefragt, was die Paare für ein Sex-Leben haben. Es gibt einen Bericht von Claire M. A. Salisbury und William Fisher über den weiblichen Orgasmus. In dem Bericht geht es darum: Nur wenige Frauen sprechen mit ihren Partner*innen darüber, wie sie zum Orgasmus kommen und was sich gut für sie anfühlt. Aber wissenschaftliche Studien zeigen auch: Paare sind meistens befriedigter, wenn sie über Sex und über ihre Vorlieben sprechen. Diese Paare sind meistens zufriedener in ihrer Beziehung. Trotzdem sprechen viele Paare nicht über Sex. Vor allem dann nicht, wenn sie damit unzufrieden sind. Das Thema Sex ist immer noch ein Tabuthema. Das bedeutet: In der Gesellschaft wird nur sehr wenig über dieses Thema gesprochen.

Ich bekomme oft mit: Frauen wollen ihre*n Partner*in nicht verletzen. Deswegen sagen sie nicht, was sie sich wünschen. Mit manchen Paaren spreche ich in der Beratung über Sex. Meistens geht es darum, dass eine Person nach der Geburt keine Lust mehr auf Sex hat. Die Paare fragen mich dann, ob das normal ist. Natürlich ist diese Frage nicht so leicht zu beantworten. Denn jedes Paar ist anders. Und es gibt verschiedene Gründe, warum eine Person keine Lust auf Sex hat. Wenn ich nicht weiter weiß, dann schicke ich die Paare zu Sexual-Therapeut*innen. Aber die schnelle Antwort ist: Ja, es ist normal, wenn Menschen nach der Geburt keine Lust auf Sex haben. Zumindest geht es vielen Menschen so. Aber meistens kommt die Lust irgendwann wieder. Am wichtigsten ist einfach, miteinander zu sprechen und sich Zeit zu geben.

„I am a sex machine ready to reload like an atom bomb about to oh, oh, oh, oh, oh, explode.“ 

„Ich bin eine Sexmaschine, die nachgeladen werden kann wie eine Atombombe kurz vor dem oh, oh, oh, oh, oh, explodieren.“

(Aus dem Lied: „Don´t Stop Me Now“ von Queen)

 

Ich habe immer wieder Paare gesehen, die nicht über wichtige Dinge sprechen. Deswegen habe ich mir geschworen, in meiner nächsten Beziehung einfach über alles zu sprechen. Auch über jede winzig-kleine Sache. Denn vielleicht hat ja auch diese winzig-kleine Sache später einmal eine große Bedeutung. Ich möchte nicht bei jedem Streit über Dinge sprechen müssen, die schon fünf Jahre her sind. 

Foto: Felix Hohagen 

Das hatte ich mir vorgenommen. Aber auch ich bin Österreicherin und habe gelernt, zu schweigen. Vor allem als Frau. Vor allem als Schwarze Frau. Ich habe gelernt: Ich darf nicht zu viel wollen und fordern. Deswegen fallen mir manche Sachen immer noch schwer. Zum Beispiel zu sagen, wenn ich Sex haben möchte. Ich will, dass mein Partner merkt, wenn ich Sex haben will. Und dass er mich dann erobert. 

Eigentlich will ich mich nicht so verhalten. Denn mir ist Gleichberechtigung in einer Partner*innenschaft wichtig. Und ich weiß auch: Es ist nicht die Aufgabe von einem Mann, eine Frau zu erobern. Eine Frau ist selbst für sich verantwortlich. Obwohl ich das weiß, verhalte ich mich manchmal trotzdem anders. Ich spreche dann nicht über meine Bedürfnisse. Sondern ich mache viele kleine Anspielungen, die kein Mensch versteht. Und dann bin ich sauer. 

Auch in meiner jetzigen Beziehung ertappe ich mich manchmal bei etwas: Ich verschweige manche kleinen Dinge, die mich stören oder verunsichern. Ich hoffe, dass ich sie vergesse. Und manchmal denke ich mir auch: Ich kann das jetzt nicht ansprechen. Ich kann nicht schon wieder anstrengend sein. Sonst läuft mir mein Partner ja davon. Wenn ich diese Dinge eine Weile nicht anspreche, dann explodiere ich irgendwann. Aber nicht auf die gute Art.

Die große Liebe

Ich bin in einer festen Beziehung mit einem Mann. Ich komme aber auch immer wieder mit anderen Beziehungsformen in Berührung. Zum Beispiel mit Beziehungen, in denen es mehr als zwei Personen gibt. Oder mit queeren Beziehungen. Damit meine ich zum Beispiel Beziehungen zwischen zwei Frauen oder zwischen zwei Männern. Oder Beziehungen zwischen Menschen, die sich nicht als Mann und nicht als Frau fühlen. 

Wenn ich solchen Menschen begegne, dann frage ich mich oft: Passt meine Art der Beziehung überhaupt noch in unsere heutige Zeit? Oder ist sie vielleicht schon veraltet? Vielleicht würde auch ich Personen unabhängig von ihrem Geschlecht lieben, wenn mich meine Eltern und die Gesellschaft anders erzogen hätten? Und wenn ich andere Vorbilder gehabt hätte? 

Für viele Menschen gehören die Liebe und das Kinder-Bekommen zusammen. Auch das haben wir in unserer Gesellschaft so gelernt. Aber stellen wir uns einmal vor, wir hätten andere Vorbilder gehabt. Vielleicht wären die Liebe und das Kinder-Bekommen dann ganz unabhängig voneinander. Oder vielleicht wären Beziehungen zwischen mehr als zwei Personen und Kinder mit mehr als zwei Eltern ganz normal.

Aber: Ich bin sehr glücklich in meiner Beziehung. Auch wenn ich diese Beziehung-Form vielleicht nur habe, weil die Gesellschaft es mir so vorlebt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Für-Immer-Gefühl. Also das Gefühl, das viele Menschen die große Liebe nennen. Ich entscheide mich jeden Tag für diese Liebe. Ich stecke Arbeit und Kraft in diese Beziehung. Das mache ich auch gern. Diese Liebe ist es mir wert. Ich habe früher nie an sie geglaubt. Manchmal glaubt mein Kopf auch jetzt noch nicht daran. Aber mein Gefühl tut es. Ich denke, bei der großen Liebe ist es so: Liebe kann für jede Person etwas anderes bedeuten. Die große Liebe für dich ist das, was du große Liebe nennst. Zu dieser großen Liebe kann auch der Orgasmus gehören. 

Die gute Art der Explosion: Der Orgasmus

Es gibt verschiedene Erklärungen in Fachtexten, was ein Orgasmus bei einer Person mit Vagina ist. Dort steht aber auch: Der Orgasmus ist noch wenig erforscht. Roy J. Levin schreibt: Ein Orgasmus ist ein kurzer Höhepunkt von sehr starker Lust. Ein Orgasmus kann sich unterschiedlich anfühlen. Und verändert für einen Moment, wie wir uns fühlen. Oft ziehen sich bei einem Orgasmus die Muskeln in unserem Unterleib zusammen. Danach fühlen wir uns sehr entspannt und zufrieden.

Aber es gibt noch viele falsche Vorstellungen über den weiblichen Orgasmus. Und auch falsche Vorstellungen darüber, was Sex überhaupt ist. Für die meisten Menschen bedeutet Sex: Ein Penis dringt in eine Vagina ein. Vor allem hetero-sexuelle Menschen beschreiben Sex so. Hetero-sexuell bedeutet: Ein Mann fühlt sich zu Frauen hingezogen und eine Frau fühlt sich zu Männern hingezogen. 

Ich finde es komisch, dass für viele Menschen nur das Sex ist. Die meisten Frauen bei dieser Art von Sex nicht einmal zum Orgasmus. Ich denke, es sollte beim Sex nicht nur um den Orgasmus gehen. Es gibt auch guten Sex ohne Orgasmus. Es erschreckt mich, dass das Eindringen von einem Penis in eine Vagina als die einzige Form von Sex gilt. Denn bei dieser Beschreibung von Sex werden viele Menschen ausgeschlossen. Was ist zum Beispiel mit Frauen, die mit Frauen schlafen? Oder mit Männern, die mit Männern schlafen? 

Ich denke: Sex kann alles sein, was dich erregt. Natürlich nur, wenn die andere Person damit einverstanden ist. Sex kann für jede Person etwas anderes sein. 

Auch in der Forschung gibt es mittlerweile inklusivere Beschreibungen von Sex. Zum Beispiel: Bei Studien der University of Utah wurden lesbische, schwule und bisexuelle Menschen gefragt, was sie unter Sex verstehen. Bisexuell ist eine Person, wenn sie sich zu Frauen und Männern hingezogen fühlt. Viele von den Teilnehmer:innen haben geantwortet: Sex ist für sie auch Oral-Verkehr und Anal-Verkehr. Auch die Befriedigung mit den Händen ist für viele Sex. Nur wenige haben gesagt: Selbstbefriedigung mit Hilfe von einem Handy oder einem Computer ist Sex. Also: Sex kann für jeden Menschen etwas anderes sein.

Noch mehr Wünsche

Ich würde es toll finden, wenn all das Inhalt vom Sexual-Unterricht an Schulen wäre. Ich will, dass Sex nicht länger ein Tabu-Thema ist. Ich will, dass es schon für junge Schüler:innen guten Sexual-Unterricht gibt. Ich will, dass es im Sexual-Unterricht nicht nur um den Sex zwischen Mann und Frau geht. Es soll um Sex zwischen verschiedenen Menschen gehen. Und es soll um die verschiedenen Formen von Sex gehen. Ich will, dass Menschen mit Menstruation lernen, wie sich ihr Körper im Laufe des Monats verändert. Menstruation ist ein anderes Wort für Periode oder Monats-Blutung. Und ich will, dass auch Menschen ohne Monats-Blutung mehr darüber wissen.

Ich will, dass niemand auf die Idee kommt, Schwarzen Menschen oder BIPOC auf Tinder zu schreiben: „Du siehst aber exotisch aus. Du bist bestimmt wild im Bett!“. 

Ich will, dass man Menschen fragt, ob sie mit „er“ oder „sie“ oder anders angesprochen werden möchten. 

Ich will, dass Abtreibungen gesetzlich erlaubt sind. 

Ich will, dass sich das Porno-Geschäft verändert. Ich will, dass nur noch Menschen dort arbeiten, die dort arbeiten möchten. Ich will, dass diese Menschen gute Arbeitsbedingungen haben und gerecht bezahlt werden.

Ich will, dass jede Person sagen kann, was ihr gefällt. Ich will, dass das nicht peinlich, un-sexy oder unangenehm ist. 

Ich will, dass man als Frau oder queere Person halbnackt durch die Straßen laufen kann, wenn man das möchte. Ohne dass man dabei blöd angemacht oder belästigt wird. Und ohne, dass dabei alle gleich an Sex denken. 

„They say we’re young and we don’t know, Won’t find out till we grow“ 

„Sie sagen, wir seien jung und wir wüssten nichts. Wir würden es nicht herausfinden, bis wir erwachsen sind.“

(Aus dem Lied „I Got You Babe“ von Sonny und Cher)

 

Hebamme haben oft mehrere Berufe gleichzeitig. An manchen Tagen fühle ich mich gleichzeitig als Krankenpflegerin, Kinderärztin, Sexual-Therapeutin und Lehrerin. Mit mehr Berufserfahrung konnte ich immer besser erkennen: Was braucht die Person, die ich betreue? Wann muss ich sie an eine andere Stelle weiter verweisen? Wann muss ich während einer Geburt noch jemanden dazu holen? Als Hebamme hat man eine große Verantwortung. Und diese Verantwortung ist mir oft zu viel geworden. Ich habe verschiedene Geburten erlebt. Bei manchen Geburten haben die Partner:innen gut zusammengearbeitet und haben super miteinander gesprochen und sich gegenseitig unterstützt. Es war wunderschön, solche Verbindungen beobachten zu dürfen. Bei manchen Geburten waren die Frauen allein. Und sie wussten, dass sie auch nach der Geburt mit dem Baby allein sein werden. 

Ich habe Geburten erlebt, bei denen die Kinder nach der Geburt dem Jugendamt übergeben wurden. Denn die Eltern konnten sich nicht um die Kinder kümmern. Und zum Glück habe ich nur sehr selten Geburten erlebt, bei denen etwas schief gelaufen ist. 

Bessere Arbeits-Bedingungen!

Nach einer Weile ging es mir mit der Arbeit in der Geburtsklinik nicht mehr gut. Die zwölf Stunden langen Schichten und die Nachtschichten waren für meinen Körper sehr anstrengend. Wegen einer schweren Geburt habe ich eine Angst-Attacke bekommen. Da habe ich beschlossen, nicht mehr als Hebamme zu arbeiten. Es ist eine sehr schöne Arbeit, Geburten zu betreuen. Aber die Verantwortung ist sehr groß und die Arbeit ist schlecht bezahlt. Ich möchte meine Gesundheit nicht wegen meiner Arbeit verlieren. 

Ich bewundere Hebammen, die diese Arbeit viele Jahre lang machen können. Und ich will bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung für Hebammen! Jeder Mensch hat in seinem Leben schon einmal eine Hebamme gebraucht. Denn ohne Hebamme wäre er wahrscheinlich nicht so gut auf die Welt gekommen. Hebammen sind wichtig für unsere Gesellschaft. Und sie setzen sich für das Leben und die Liebe ein. 

Nach meiner Zeit als Hebamme in der Geburtsklinik denke ich mir bei jedem stressigen Ereignis im Alltag: Das ist doch gar nichts! Durch die Arbeit als Hebamme bin ich viel mehr Stress gewohnt. Denn Geburten lassen sich nicht planen. Seit meiner Zeit in der Geburtsklinik habe ich das Gefühl, ich kann alles. Aber ich habe auch immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ich mit meiner Arbeit aufgehört habe. Denn ich weiß: Es gibt viel zu wenig Hebammen. Aber ich möchte und kann so nicht mehr arbeiten. Ich will zuerst bessere Arbeitsbedingungen für Hebammen sehen. 

„Cupid hit me, cupid hit me with precision“ 

„Amor traf mich, Amor traf mich mit großer Genauigkeit.“

(Aus dem Lied: „See You Again“ von Tyler, the Creator)

 

Hebammen helfen Menschen, auf die Welt zu kommen. Und die meisten dieser Menschen sind durch Liebe entstanden. Hebammen verbringen viel Zeit mit Liebespaaren. Sie erleben mit, wie die Eltern-Liebe entsteht. Hebammen können bei Geburten beobachten, wie stark Liebe einen Menschen machen kann. Sie können sehen, was ein Mensch für die Liebe aushalten kann. Hebammen versuchen oft, so vielen Menschen wie möglich zu helfen, obwohl die Arbeitsbedingungen so schlecht sind. Dabei vergessen sie manchmal sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse. Ist das nicht Liebe? Und wenn eine Hebamme sich um ihre eigene Gesundheit kümmert, ist das nicht Selbstliebe?

Das ist Liebe

Ich erinnere mich noch gut an solche Momente: Kurz nach der Geburt schüttet der Körper einer gebärenden Person Glückshormone aus. Diese Glückshormone füllen den ganzen Raum. Jede Person in diesem Raum bekommt etwas von den Glückshormonen ab. In diesem Moment versteht man genau, was Liebe ist.

 

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Redaktion: Katharina Brunner

Lektorat: Clara Porak