Burger, Bisons und Barriere-Freiheit

Unsere Autorin Bianca plant ihren fünften USA-Roadtrip. Eine Reise, die für sie in Österreich und Deutschland nicht möglich wäre.

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Dampfende heiße Quellen, farbenprächtige Pools, eintönige Steppen mit grasenden Bisons. Dahinter die Bergspitzen der Rocky Mountains – und mittendrin ich, im Yellowstone National Park, voller Freude im Rollstuhl herum düsend.

Als ich fünf Jahre zuvor aufgeregt die Route unseres ersten USA-Roadtrips plante, dachte ich nicht, dass so etwas für mich möglich ist. Ich beschränkte mich eher auf Städte. Das gab mir für dieses bevorstehende Abenteuer ein Gefühl von Sicherheit, denn als Rollstuhlnutzerin fand ich Barrierefreiheit bisher am ehesten in größeren Orten. Schon der Gedanke daran, die Reise zu planen, machte mich nervös: „Bloß keine langen Aufenthalte in der Pampas. Da ist es mit Rollstuhl schwierig“. Ich erinnere mich an das mulmige Gefühl, das mich bei der ersten Reise begleitete, wenn wir ins Mietauto einstiegen und uns von den Städten entfernten.

Die Angst, die ich durch meine Erfahrungen in Österreich entwickelt hatte, war unbegründet. Mittlerweile haben wir vier mehrwöchige Roadtrips in den USA hinter uns, der nächste folgt im Spätsommer. Unsere Reisen wurden mit jedem Mal abenteuerlicher, und der Schwerpunkt hat sich verlagert: Statt in Städten verbringen wir viel Zeit in der Natur. In Österreich für mich undenkbar.

Dass ich in den USA besser reisen kann, ist kein Zufall. Es liegt am „Americans with Disabilities Act (ADA)“ – auf Deutsch: Gesetz für Amerikaner*innen mit Behinderungen. 

Seit 1990 haben die USA den ADA – ein Gesetz, das die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen im Alltag verbietet und garantiert, dass alle die gleichen Möglichkeiten haben. Diesen Erfolg erkämpften Aktivist*innen in den 80er-Jahren hart. Schließlich wurde das Gesetz vom Kongress beschlossen und am 26. Juli 1990 vom Präsidenten unterzeichnet. Seit damals wird in den Staaten vieles getan, damit Menschen mit Beeinträchtigungen weniger von der Umwelt behindert werden.

Das machte bei unserer ersten Reise plötzlich vieles möglich:

Ich konnte unbekümmert an barrierefreien Picknickplätzen mit unterfahrbaren Tischen snacken, während ein paar Meter weiter Rehe durch die Büsche streiften. Das nächste rollstuhlgerechte WC war trotzdem nur einen Steinwurf entfernt. Egal, wo wir strandeten: In fast jeder öffentlichen Toilette fand ich auch eine barrierefreie Kabine, was mich sehr beruhigte. Wenn uns der Hunger überkam, konnten wir ohne Recherche aus der Fülle an Restaurants, Imbiss-Ständen und Bars wählen. Dass es stets einen Gebäude-Zugang für Rollstuhlnutzer*innen und einen barrierefreien Parkplatz gab, kannte ich so nicht aus Österreich. Ein Highlight war mein Sitzplatz in einer Las Vegas-Show: Von den riesigen knuddeligen Zuschauer-Sesseln gab es auch schwenkbare Exemplare für Menschen mit Mobilitäts-Problemen. Ich konnte gemütlich in den Sessel transferiert werden, saß dann aber mitten im Geschehen gemeinsam mit allen anderen. Öffentliche Verkehrsmittel – und sahen sie noch so abenteuerlich aus – konnte ich selbstverständlich nutzen.

Ganz anders ging es mir erst vor wenigen Wochen in Wien. Ich hatte mich auf den Besuch eines interaktiven Museums gefreut – und wurde gleich am Eingang mit den Worten „Man muss 50 Stufen überwinden“ enttäuscht. Bei einer Show in einem großen Veranstaltungssaal in Bregenz stand ich mit dem Rollstuhl allein mitten im Gang, während sich andere Gäste an mir vorbei quetschten und meine Freunde zwei Meter hinter mir saßen. Meine Liste mit zugänglichen Restaurants wurde über die letzten Jahre zwar länger, den Großteil kann ich dennoch nicht besuchen – oder nur, wenn ich sicher kein WC brauche.

Das ist frustrierend und macht mich oft wütend. Vor allem, weil das Beispiel der USA zeigt, dass es anders möglich ist. Zugang ist in Österreich trotz UN-Behindertenrechtskonvention noch immer keine Selbstverständlichkeit oder garantiertes Recht.

Das belegt auch die letzte UN-Staatenprüfung.

In Österreich bin ich mehr eingeschränkt, als ich es sein müsste: Wegen ungenauen Definitionen von Barrierefreiheit, oder weil es keinen gesetzlichen Anspruch auf die Beseitigung von Diskriminierungen (z.B. Stufen) gibt. Weil die Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden hin- und her geschoben wird, oder aufgrund von Denkmalschutz, der Barrierefreiheit verhindern kann.

Selbst wenn es um Kunden-WCs, Informations-Schalter oder Restaurants geht, findet vor Gericht erst eine Prüfung statt, ob die Barrierefreiheit „zumutbar“ ist.

Der Unterschied zu den USA könnte nicht größer sein: Dort kann ich zwar auch nicht laufen, aber ich fühle mich durch die geschaffene Barrierefreiheit definitiv weniger behindert. Das macht mich unabhängiger – und auch mutiger.

Als wir uns nämlich bei der zweiten USA-Reise mehr in Nationalparks vorwagten, gab es sogar dort oft rollstuhltaugliche Wanderwege. Ich freute mich, wie viele Sehenswürdigkeiten ich erreichen konnte und dass es sogar zugängliche Plumpsklos an den abgelegensten Orten gab. Im Gebirge konnte ich auf rollstuhlgerechten Pfaden grandiose Ausblicke oder einfach nur die Stille genießen. Beim Spazieren auf flach geteerten Wegen mitten durchs Tal eines Canyons waren wir so lautlos unterwegs, dass wir plötzlich einem ebenso überraschten Hirsch gegenüberstanden. Selbst die feucht-schwüle und von Insekten nur so flirrende Sumpflandschaft Floridas konnte ich mühelos über knarrende Holzwege auskundschaften. Wir sahen Baby-Krokodile und Salat mampfende Seekühe bei einer Bootsfahrt durch die dunstverhangenen Gewässer – ganz vorne saß ich, mit bestem Ausblick vom Rollstuhl.

Fühlen sich auch andere Rollstuhlfahrer*innen in den USA „weniger behindert“? Meine Recherche zeigt: Ja. Viele Berichte zeichnen ein ähnliches Bild.

Der letztes Jahr verstorbene österreichische Schriftsteller und Behindertenaktivist Erwin Riess, selbst Rollstuhlnutzer, kritisierte beispielsweise die drastischen Unterschiede der Barrierefreiheit zwischen USA und Österreich oft in seinen Texten. Er meint: „Weil das Gesetz keine Ausflüchte erlaubt, kam es in den USA binnen weniger Jahre zu einer Revolutionierung der gebauten Umwelt. Ich habe das Gesetz im Vorjahr wieder in New York getestet. Menschen mit Behinderung können sich in dieser Stadt ohne Einschränkungen bewegen.“ In „Traumland USA?“ berichten 12 Autor*innen mit Behinderungen nach ihrer Reise, um das ADA-Gesetz zu testen, schwer beeindruckt über die Barrierefreiheit. Und Sigrid Arnade, deutsche Aktivistin für die Rechte behinderter Menschen, meint sogar: „Die Gesetzgebung verändert die Umwelt und auch die Menschen.“

In wenigen Wochen bereise ich erstmals die nördlichsten Ecken der USA. Ich werde zwischen schneebedeckten Bergketten, rauschenden Wasserfällen und steilen Gletschern durch Nadelwälder rollen und in Thermalquellen baden, in die ich gemütlich per Lift hinein gelange. Sollte ich nervös sein, dann vielleicht wegen der Möglichkeit, jederzeit einem Bären zu begegnen – und bestimmt nicht wegen der Frage, ob es ein WC für mich gibt.

Eine Frau sitzt in einem Rollstuhl und luachelt in die Kamera

Bianca

Autorin Bianca Riedmann reist im August 2024 wieder in den USA. Für mehr Infos über die Protestbewegung in den USA und den „ADA“ empfiehlt sie die Dokumentation „Sommer der Krüppelbewegung“ (2020) auf Netflix.

Klatschende Hände

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