Delfinschwimmen für alle!

Unser Autor hat als Kind Spenden erhalten. Damit konnte er sich einen großen Traum erfüllen: Einmal mit Delfinen schwimmen. Seither fragt er sich: Warum spenden Menschen? Wir haben recherchiert.
Foto von Sebastian, der einen Spendenscheck entgegen nimmt, hinter ihm seine Familie. Er ist ein Kind

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Als ich ein Kind war, im Juni 2002, hat ein Wiener Fußballverein ein Benefiz-Turnier für mich veranstaltet. Jedes Tor brachte Geld ein. Auch die Popsängerin Tamee Harrison und andere Leute sammelten Spenden. Denn: Mein großer Wunsch damals war es, einmal mit Delphinen schwimmen zu können. Ich habe damals gehört, dass Delfintherapie Menschen mit meiner Behinderung helfen kann. Für mich war da eine Hoffnung, dass ich nach der Therapie besser im Leben zurecht komme und besser gehen lernen kann.

Seither frage ich mich aber auch: Was hat die Menschen dazu gebracht, Geld für mich zu spenden? Und wie viel Geld spenden die Österreicher*innen eigentlich?

Der Fundraising Verband hat Ende November Zahlen zur Spendenfreudigkeit in Österreich veröffentlicht. Laut Spendenbericht für das Jahr 2022 werden rund 900 Millionen Euro gespendet. Mehr als ein Drittel davon wurde bisher an die Aktion “Nachbar in Not” gespendet. Das meiste kam aus kleinen Spendenbeträgen, unter 200 Euro, zusammen. Nur zwei Prozent waren Beträge über 1000 Euro. Der Verband schreibt, dass gerade in Österreich die wirklich reichen Menschen wenig für das Gemeinwohl spenden. In anderen Ländern spenden Menschen mehr, je mehr Einkommen sie haben.

Am meisten wurde in den letzten Jahren für Kinder und Tiere gespendet. Auch ich war noch ein Kind, als ich Spenden bekommen habe. In meinem ersten Lebensjahr wurde bei verschiedenen Tests und Untersuchungen herausgefunden, dass ein Teil meines Kleinhirnes zu klein ist. Die genaue Diagnose lautet Atrophie des Culmen Vermis (lateinisch). Dies äußert sich in meinem Gleichgewicht, meiner Sprache und in meiner allgemeinen motorischen Kontrolle.

Im Alter von elf Jahren konnte ich dank der Spenden für drei Wochen zu einer Delphin-Therapie nach Florida. Das ist ein Bundesstaat in den USA. Die drei Wochen Therapie haben 11.000€ gekostet. Wir sind mit der Maschine von Wien nach Washington DC geflogen. Insgesamt waren wir 12 Stunden unterwegs. In Florida angekommen, sind wir zuerst einmal zum Apartment in der Nähe der Delphinanlage “Island Dolphin Care” in Key Largo gefahren. Ich hatte dann jeden Tag Therapie und bin mit drei unterschiedlichen Delphinen geschwommen.

Für mich war die Delphin-Therapie ein unbeschreibliches Gefühl. So ein Delphin ist nämlich zum Beispiel gleichzeitig rau und glatt. Ich bedanke mich herzlich bei meiner Familie und besonders bei meinem Therapeuten dafür, dass ich dieses Erlebnis haben durfte, auch bei den Sponsoren von damals. Nach den drei Wochen wollte ich nicht mehr nach Hause und habe sehr geweint, weil man auch eine Art von Beziehung zu den Tieren und den Therapeut*innen aufbaut.

Nicht viele Spendenaktionen finden, so wie meine, im Sommer statt. Laut Fundraising-Verband spenden die Österreicher*innen rund um Weihnachten am meisten. Und: Sie spenden ganz selten spontan. Es muss bei ihnen immer zuerst ein Gefühl ausgelöst werden.

Meine Mutter hat damals vor Weihnachten sehr viele Organisationen z. B. Caritas, Licht ins Dunkel und die Johanniter angeschrieben, auch Banken und große Firmen. Sie hat allen von meiner Geschichte erzählt. So hat sie die Menschen dazu gebracht zu spenden. Austrian Airlines schenkte uns die Flugtickets nach Florida.

Dass man mit Geschichten Menschen berühren kann, das weiß auch Katharina Maun. Sie arbeitet für DODO. Das ist eine Agentur für Marketing & Markenkommunikation. Und sie ist im Vorstand des Creative Club Austria. Sie kritisiert, dass beim Werben um Spenden oft Bilder gezeigt werden, die sehr persönliche Geschichten erzählen. Es gehe darum, Mitleid zu erzeugen. Maun ist dabei überzeugt: Man kann auch Spenden sammeln ohne mitleidheischende Bilder zu zeigen.

Dazu müsste aber auch die Werbebranche ein Bewusstsein für dieses gesellschaftspolitische Anliegen entwickeln, sagt sie. “Wir bedienen oft ein Bild, das veraltet ist. Man hat in den letzten Jahrzehnten gedacht, es ist besonders wirkungsvoll, wenn besonders viel Mitleid erzeugt wird. Wenn es besonders traurig ist. Wenn es besonders herzzerreißend ist und wenn Leid besonders explizit gezeigt wird. Es wurde fast immer mit Mitleid gearbeitet, so Maun. Denn: “Je höher das Mitleid, desto höher die Spende.” Da brauche es eine Überprüfung: Ist das noch zeitgemäß?

In den USA gibt es einen Professor, der sich gut mit Spenden auskennt. Er heißt Paul Slovic. Er hat viel herausgefunden über die Psychologie des Spendens, also zur Frage: Warum spenden Menschen? Er sagt, dass es uns Menschen ein gutes Gefühl gibt, wenn wir spenden. Im Jahr 2007 fand er gemeinsam mit anderen Forscher*innen heraus: Gefühle und Spenden hängen ganz eng zusammen. Daher müsse jemand, der Spenden sammeln will, ein Gefühl auslösen. Der Professor Slovic sagt, es braucht Gefühle, um Menschen dazu zu bringen zu spenden. Aber braucht es Mitleid? Kann man vielleicht auch ein anderes Gefühl erzeugen? Begeisterung, zum Beispiel, oder Freude?

Die Werbe-Expertin Maun sagt, das ginge auch anders. Aber in Österreich ist in den letzten Jahrzehnten nur wenig anderes ausprobiert worden. Außerdem werden Menschen mit Behinderungen nur sehr einseitig dargestellt. Wenn überhaupt: “In Österreich kommen sie sehr selten in Werbungen vor, außer eben beim Spendensammeln.” Das läge auch daran, dass die Agenturen keine Models mit Behinderungen anbieten würden. Wenn Maun Models für eine Werbung sucht, sei es schwer, Menschen mit Behinderungen zu finden. “Aber wenn jeder 6. Mensch mit einer Behinderung lebt, dann müsste jeder 6. Mensch in der Werbung auch eine Behinderung haben. Dann wäre es ein realistisches Abbild der Gesellschaft”, sagt Maun.

Nach der Delphin-Therapie ging es mir mit der ganzen Motorik, mit meinen Bewegungen viel besser. Ich würde es also sofort wieder machen – wobei ich eine solche Therapie durch meine Entwicklung bis heute eigentlich gar nicht mehr brauche. Damals aber hat es wirklich geholfen. Dennoch frage ich mich bis heute: Muss das wirklich so sein, dass ein behinderter Mensch als “arm” dargestellt wird, um Spenden zu bekommen?

18,4 Prozent der Menschen in Österreich haben eine Behinderung, doch es gibt kaum Journalist:innen mit (intellektueller) Behinderung.

andererseits ist das erste österreichische Medium, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt zusammenarbeiten.

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Grafik: Clara Sinnitsch

Foto: Sebastian Gruber

Redaktion: Patricia Käfer, Clara Porak

Unterstüzt von Lisa Kreutzer