Recherche von Lisa Steiner
Sebastian wohnt in Berlin. Er will nicht auffallen. Er ist Autist.
Sebastian mag es zu feiern und Drogen zu nehmen. Drogen sind zum Beispiel Alkohol, Cannabis oder Ecstasy. Die wirken unterschiedlich.
Drogen können für die Gesundheit gefährlich sein.
Aber sie machen alle, dass man den Alltag kurz vergisst.
Für Sebastian ist es schwer an Drogen zu kommen. Denn er traut sich nicht Menschen anzusprechen, die ihm Drogen verkaufen könnten.
Deswegen kauft er seine Drogen im Görlitzer Park, einem Drogen-Hotspot in Berlin.
“Ich habe zwar Lieblingssubstanzen. Aber eigentlich geht es mir weniger um die Substanz, als um den Rausch”, beschreibt Sebastian sein Verhältnis zu Drogen. Man könne auch sagen, er sei “rauschsüchtig”, erklärt der 35-jährige Berliner. Das klingt nicht nach einer besonderen Geschichte, eher nach der tausendsten über die Partyhauptstadt Berlin und Drogenkonsum bei Techno-Fans wie Sebastian. Und doch ist das hier eine ein bisschen andere Geschichte.
“Mein Grad der Behinderung liegt bei 80, nur falls das für die Story wichtig ist”, sagt Sebastian. Und das ist es, leider. Denn, mal ehrlich: Das Bild eines fröhlich feiernden Autisten wie Sebastian, das kommt medial so gut wie nirgends vor – nicht im Fernsehen, nicht in Hollywoodfilmen, nicht in Medienberichten über Partys oder Drogen. Bunte Klamotten liegen dem großen, eher hageren Mittdreißiger nicht. Sebastians braune Haare sind kurz, er schneidet sie selbst auf Einheitslänge nach. Sebastian will nicht auffallen. Egal ob an seinem Arbeitsplatz in der IT-Branche oder auf einer Party im Club, er trägt dunkle Kleidung: schwarzer Kapuzenpulli, einfarbig-dunkle Hose. So unauffällig wie Sebastian im Alltag gerne wäre, so unsichtbar sind die Probleme von Menschen mit Behinderungen, die gerne einen Rausch haben wollen.
“Ich traue mich nicht, Kontakt zu Menschen aufzunehmen. Daher gehöre ich nicht zu Menschen, die im Club nach Drogen fragen”, sagt Sebastian. Für ihn bedeutet das, dass er Drogen wie Cannabis dort kaufen muss, wo die Dealer so aufdringlich sind, dass sie ihn ihrerseits ansprechen. “In meinem Fall Görlitzer Park”, sagt Sebastian. Der Park ist ein Dealer-Hotspot in der deutschen Hauptstadt. Die Gefahr, beim Kauf bei Unbekannten “schlechten Stoff” angedreht zu bekommen, ist groß. Größer als bei Menschen, die Kontakt zu einem Stammdealer haben. Außerdem riskiert Sebastian, erwischt zu werden. Gerade im Görlitzer Park ist Polizeipräsenz tägliche Regel, nicht Ausnahme. Dass er seine Drogen auch online kaufen könnte, zum Beispiel im „Dark Net“ ist Sebastian völlig klar. Wolle er aber nicht, aus zwei Gründen: Erstens müsste er ja doch wieder selbst Kontakt aufnehmen, von sich aus, mit Unbekannten. Und zweitens: „Es gibt ja zwar ein Postgeheimnis, aber …“, erklärt er seine massiven Sicherheitsbedenken hinsichtlich Drogenkaufs im Internet.
Verbotene Drogen zu kaufen ist für alle Menschen verboten.
Der Rechtsanwalt Arthur Machac sagt: Wenn Menschen zum ersten Mal mit Drogen erwischt werden, drücken die Behörden meistens ein Auge zu. Das nennt der Rechtsanwalt “Freileben”.
Manche Menschen mit Behinderungen können Drogen nicht selbstständig zu sich nehmen. Sie brauchen dafür Assistenz, also Hilfe.
Es gibt kein Recht auf Rausch. Auch nicht auf legalen.
Den darf man haben. Aber es gibt kein Recht darauf.
Wer jemand anderem dabei hilft, verbotene Drogen zu nehmen, macht sich selbst aber sehr wohl strafbar. Der hat kein Freileben.
Das weiß Sebastian, deswegen kauft und nimmt er seine Drogen selbst.
Sebastian kann aber nicht riechen. Das macht das Drogenkaufen für ihn sehr viel schwieriger.
Rein rechtlich, vor allem strafrechtlich, gibt es keinen Unterschied zwischen Drogenkäufern wie Sebastian und jenen ohne Behinderung, egal ob online oder im Park. “Wenn Sie mit Eigenbedarf erwischt werden, haben Sie gewissermaßen ein ‘Freileben’ – wie Super Mario im Spiel”, erklärt Rechtsanwalt Arthur Machac die Gesetzgebung in Österreich. Hier werde bei Cannabis-Eigenbedarf beim ersten Mal das Verfahren eingestellt. In Deutschland sei es ähnlich. “Die Gerichte sind aber zumindest teilweise entgegenkommend, wenn Menschen mit Behinderung wegen Suchtmitteln vor Gericht stehen”, sagt Machac. Als Beispiel schildert er den Fall eines Mandanten mit psychischer Behinderung. Der Mann hatte Ecstasy an Bekannte verschenkt, teils zum Einkaufspreis weitergegeben – um sozial Anschluss zu finden. Eigentlich ist so etwas Suchtmittelhandel. Hier sei das Gericht aber zu dem Schluss gekommen, dass der Mandant das Unrecht, das er begangen habe, selbst nicht voll erkennen habe können. Deshalb ging man von eingeschränkter Schuldfähigkeit aus und urteilte mild.
Rausch mit Assistenz?
Was aber, wenn jemand körperlich durch seine Behinderung so beeinträchtigt ist, dass er Hilfe braucht, beim Sich-Berauschen? Solange derjenige oder diejenige für den Rausch legale Mittel konsumiert – wie Alkohol, Nikotin oder Kaffee – gilt das als Teilhabe und ist rechtlich durch die EU-Behindertenrechtskonvention abgesichert. Beim Konsum von illegalen Substanzen ist das aber anders. Machac sagt (mit Bezug auf Österreich und Deutschland): “In beiden Staaten haben die Höchstgerichte festgestellt, dass es kein Recht auf Rausch gibt.” Somit kann ein Mensch mit Behinderung sich zwar beim Besaufen auf Teilhabe berufen, nicht aber, wenn er Partydrogen oder Cannabis konsumiert.
Das bedeutet, wenn zum Beispiel jemand wie (der verstorbene britische Physiker) Stephen Hawking gerne Ecstasy ausprobieren wollen würde, es aber alleine gar nicht kaufen oder einnehmen kann – dann hat er echt ein Problem. “Für Helfer*innen gibt es kein ‘Freileben’”, erklärt Anwalt Machac nochmal mit seinem Super-Mario-Vergleich. Das heißt: Wer Menschen mit Behinderung beim Rausch mit illegalen Substanzen assistieren möchte, macht sich strafbar. Zwar dürfen Menschen mit Lern-Schwäche sogar mit Assistenz wählen; Drogen nehmen sollten sie aber entweder gar nicht (wie alle, rein rechtlich gesehen) oder ohne Unterstützung – außer sie wollen riskieren, dass jemand anderes große Probleme bekommt.
Um genau das zu vermeiden, organisiert Sebastian sich seine illegalen Substanzen selbst. Wobei ihm dabei nicht nur seine Kontaktscheu, sondern auch seine zweite Behinderung zu schaffen macht. “Ich kann nichts riechen, seit der Geburt. Als ich meine Eltern als Kind fragte, wann sie mir das Riechen beibringen würden, dachten sie, ich würde sie verarschen”, erzählt er. Der fehlende Geruchssinn heißt in der Fachsprache Anosmie. Besondere Probleme entstehen dadurch vor allem bei Cannabis: “Wenn ich Gras kaufe, egal in welcher Menge, und mit den Öffis nach Hause fahre, bin ich immer sehr paranoid, frage mich ob die Leute riechen, dass ich Gras bei mir habe.” Auch zu Hause verfolge ihn ein unschönes Gefühl, wenn er sich, wie Tausende andere, einfach mal einen Joint anzünden möchte. “Ich rauche nur im hinteren Zimmer, welches sechs, sieben Meter von der Wohnungstür entfernt ist und immer mit offenen Fenstern auf beiden Seiten.”
Rausch kann auch gefährlich sein.
Sebastian hat mit Alkohol gemischt mit anderen Drogen schlechte Erfahrungen gemacht.
Menschen, die zu viele Drogen nehmen, werden süchtig nach dem Rausch.
Das ist sehr schlecht für die (psychische) Gesundheit, deswegen brauchen sie dann einen Arzt.
Bei Menschen mit Behinderungen wird oft später als bei anderen Menschen erkannt, dass sie süchtig nach dem Rausch sind.
Menschen wollen Rausch
Auch wenn der Weg zum Rausch oft beschwerlich und gefährlich und illegal ist, nimmt Sebastian das in Kauf. Wie viele andere Menschen auch. Er tut das aber mit teils beträchtlich mehr Aufwand. Warum? Weil es die Rauscherlebnisse teils wert seien. „Richtig dosiert kann die Reise durchaus Türen öffnen, die vorher nur schwer aufzubrechen waren oder von denen man nicht wusste, dass sie existieren. Das sind aus meiner Sicht keine Trips, wo ich nach einer Woche sage ‘geil! nochmal! noch mehr!’ – eher eine Art Selbstfindung, der jeder Mensch durchaus mal eine Chance geben sollte, falls gewünscht”, sagt Sebastian.
Seine negativsten Rauscherlebnisse hatte er, wie viele andere, mit Alkohol, in seinem Fall in Verbindung mit Speed und Medikamenten, die er wegen seiner Depressionen und gegen die innere Anspannung einnimmt. Eine Kombination, die ihn zu “harten Blackouts” geführt habe. Einmal habe er nach Stunden ohne Erinnerung eine Packung völlig verkohlten Frischkäse in seinem Ofen gefunden, ein anderes mal kann er sich nicht erinnern, wie er nach Hause gekommen ist – auf seinem Handy fanden sich allerdings Fotos, auf denen er sich selbst auf einer Baustelle an der Straße herumliegen sehen konnte.
Sucht(gefahr) und Behinderung: ausgeblendet!?
Der ganz legale Alkohol und die Folgen seines Konsums kommen auch bei Andreas Rahn-Werneck an. Der Suchttherapeut arbeitet in der Fachklinik Oldenburger Land im deutschen Niedersachsen. Es ist eine der wenigen Kliniken, die auf stationäre Suchttherapie von Menschen mit Lern-Behinderungen und kognitiven Beeinträchtigungen spezialisiert sind. “Im Prinzip behandeln wir alles, das meiste ist Alkohol, aber es gibt auch Crystal-Meth-Konsum, Medikamentensucht, Kiffen sowieso”, sagt Rahn-Werneck. Platz ist in seiner Klinik für insgesamt 48 Patienten, aktuell werden fünf süchtige Frauen und 35 süchtige Männer stationär behandelt – die meisten von ihnen wegen Alkohols.
Für Rahn-Werneck ist das Thema Rausch und Behinderung ganz normal: “Aus Sicht der Gesellschaft wird da aber nur ein Störungsbild oder die körperliche Behinderung gesehen. Ich weiß gar nicht, ob man von Tabu-Thema sprechen kann, eher von Ignoranz. Es wird nicht bewusst darüber nicht gesprochen. Es wird gar nicht wahrgenommen.”
So dauere es aus seiner Sicht auch oft länger, bis Menschen mit Behinderung, für die der Rausch kein Spaß mehr ist, sondern eine Sucht, Hilfe bekommen. “Wir haben ganz viele Gespräche mit Betreuern aus Behindertenwerkstätten. Da heißt es dann zum Beispiel, ‘Was sollen wir denn machen, wir können die ja nicht mit Restalkohol an eine Maschine stellen“, erzählt Rahn-Werneck aus der Praxis. Die Betroffenen würden dann oft heimgeschickt. Das eigentliche Problem, die Sucht, werde aber anders als auf dem ersten Arbeitsmarkt oft lange ignoriert.
Es gibt kaum Informationen über Drogen in einfacher Sprache.
Das wäre aber wichtig, damit sich alle Menschen über die Gefahren informieren können.
Bei Menschen mit Behinderungen wirken Drogen manchmal anders.
Deshalb braucht es mehr Informationen.
Ein erster Schritt, um das zu ändern, wäre aus Sicht von Experten auch eine bessere Aufklärung – über Rausch und Rauschmittel, auch für Menschen mit Beeinträchtigungen. Ein Beispiel: Es fehlen Broschüren, in denen verschiedene legale und illegale Drogen und ihre Wirkung erklärt werden, auch in leichter Sprache. Auch gezielte Beratungsangebote für Menschen mit Behinderung gibt es kaum. “Drogen-Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung gibt es nicht flächendeckend, das sind immer wieder nur vereinzelte Projekte”, so Rahn-Werneck. Verständlich aufbereitete Information über Wirkungen und Wechselwirkungen von Rauschmitteln würden den Konsum von illegalen Drogen zwar nicht legal machen, aber für die Betroffenen mitunter sicherer.
Nur wer weiß, wie etwas wirkt, kann eine gute, selbstbestimmte Entscheidung treffen, ob er oder sie das wirklich nehmen will. “Safer use” heißt dieses Konzept des Risiko-minimierenden Drogenkonsums, das auf Information über die Substanzen setzt. Dabei könnte man auch darüber aufklären, dass manche Substanzen im Zusammenhang mit manchen Behinderungen anders wirken. “Zum Beispiel bei ADHS”, erklärt Rahn-Werneck, “da wirken Substanzen, die für mich aufputschend wirken, für die Betroffenen eher beruhigend.” Diese umgekehrte Wirkung, in der Fachsprache „paradoxe Wirkung“ genannt, kennt auch Sebastian. Auch er wird von manchen Drogen eher ruhig, während andere sie auf Partys nehmen, um sich zappelig wach zu halten. Dass das so ist, musste Sebastian aber selbst herausfinden.
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Redaktion: Lisa Kreutzer
Lektorat: Patricia McAllister-Käfer
Graphik: Clara Sinnitsch