Für mich war es schwer mit Frauen in Kontakt zu kommen. Also traf ich eine Sexualbegleiterin.
Von Nikolai Prodöhl, unterstützt von Lisa Kreutzer
Vor ein paar Jahren war ich mit meiner betreuten Wohneinrichtung aus Hamburg auf St. Pauli. Wir gingen die Herbertstraße entlang. Sie wird seit dem 19. Jahrhundert zur Geschäftsanbahnung von Sexarbeit genutzt. Sie ist etwa 100 Meter lang, in den Schaufenstern sitzen Sexarbeiter*innen auf Hockern. Sie präsentieren sich und warten auf Freier oder sprechen die männlichen Passanten bei geöffnetem Fenster an. Wir wollten mit ihnen sprechen, um zu erfahren, wie sie so arbeiten. Sie erzählten uns viel. Und: Sie boten uns auch ihre Dienstleistungen an.
Mir war das sehr unangenehm, weil der Gedanke für mich ungewohnt war, mit einer fremden Frau sexuellen Kontakt zu haben. Wie kann ich wissen, ob sie mit mir gut umgeht?
Wenig später erfuhr ich, dass es so genannte Sexualbegleiter*innen gibt. Der Verein, von dem ich einmal in der Woche betreut werde, hielt ein Seminar zu Liebe und Sexualität. Da war eine Berührerin zu Gast und erzählte uns, was sie in ihrem Beruf macht. Eine Berührer*in ist eine weibliche Person, die Menschen mit Behinderung dabei hilft, ein liebevolles Gefühl zu ihrem Körper zu entwickeln. Dabei sind körperliche oder geistige Behinderungen der häufigste Grund, die Dienste einer Berührer*in in Anspruch zu nehmen.
Ich fand das interessant mit der Sexualbegleiterin und ich wollte das gleich auch einmal ausprobieren. Ich schrieb der Sexualbegleiterin also eine Mail, dass ich mit ihr Kontakt haben möchte. Wir vereinbarten einen Termin und ich habe sie gefragt, was es kostet. Für die Dienstleistung habe ich 120 Euro (für eine Stunde) bezahlt.
In Deutschland ist das so geregelt, dass man die Dienstleistung selber bezahlt. In den Niederlanden und in Schweden wird Sexualbegleitung in manchen Fällen von den Krankenkassen übernommen.
Ich erzählte dann meinen Betreuer*innen davon, die fanden das gut. Damals wohnte ich noch in einer betreuten WG. Zu meinem Mitbewohner sagte ich, dass ich Besuch bekomme und allein sein möchte. Mir war das mit der Berührerin etwas peinlich, weil ich nicht wollte, dass er das mitbekommt.
Die Sexualbegleiterin reiste dann nach Hamburg. Als sie zu mir kam, hatte sie einen großen Rucksack dabei. Wir haben uns vorgestellt und sie hat mich gefragt, was ich machen möchte und das habe ich ihr erzählt. Die Sexualbegleiterin kennt sich aus mit Menschen mit Beeinträchtigungen. Sie macht noch andere Sachen, zum Beispiel erklärt sie, wie man mit seinem Körper umgeht, da lernt man seinen Körper richtig kennen.
Vor der Verabredung hatte ich etwas Angst. Ist die Frau nett, wird sie gut mit mir umgehen? Aber sie war ziemlich offen und hat mir alles erklärt. Sie hat erzählt, wie man mit einer Frau Kontakt hat und so. Ich fand sie sehr nett, weil sie mir viel erklärt hat. Sie war eine Stunde lang bei mir. Der Kontakt mit ihr hat mir geholfen, weil ich jetzt Frauen gegenüber offener bin und besser mit ihnen reden kann. Das Treffen mit der Sexualbegleiterin ist allerdings schon acht Jahre her.
Im Juni habe ich nun wieder Kontakt mit ihr aufgenommen. Ich habe ihr Fragen gestellt, weil ich mehr über ihren Beruf wissen wollte. Sie erzählte mir, dass sie schon viele Jahre Sexualbegleiterin ist. Sie reist durch ganz Deutschland und manchmal auch nach Österreich und in die Schweiz. Warum macht sie ihre Arbeit? Sie möchte Menschen in ihrer Sexualität begleiten, die irgendeine Form von Behinderungen oder Handicaps haben. Sie sagt, dass sich dadurch die Lebensqualität verbessert.
Während der Corona-Zeit hatte sie fast zwei Jahre lang immer wieder Berufsverbot. Sie war dann plötzlich vom Amt abhängig, ihre Existenzgrundlage war weg. Und selbst als das Berufsverbot endete, blieben die strengen Hygiene-Regeln. Mit Schutzanzügen und Desinfektionsmittel wollte niemand zu ihr kommen. Heute kann sie wieder arbeiten und herumreisen.
Auch in Österreich gibt es Berührer*innen. Die Sexualbegleiterin Astrid aus Wien bietet seit 2020 ihre Dienstleistungen an: für Menschen mit Beeinträchtigungen und für ältere Menschen, die ihre Sexualität gerade nicht so leben können, wie sie das gerne möchten. Gemeinsam mit ihr erkunden die Menschen ihre Sexualität. Astrid ist offiziell als Sexarbeiterin registriert. Sie sagt, die Leute finden das, was sie macht, gut. Das heißt: Sie finden Sexualbegleitung gut, aber Sexarbeiter*innen werden immer noch diskriminiert und ausgegrenzt. Das ist komisch, sagt Astrid: »Sexualbegleitung ist doch auch Sexarbeit.«
Astrid wird entweder direkt von den Gästen, die sie später empfangen, selbst angeschrieben oder von Betreuer*innen, Pfleger*innen oder der Familie. Astrid sagt: »Als Mensch mit Behinderung ist es manchmal nicht so leicht, Menschen kennenzulernen, weil man nicht so leicht in die Disco kommt oder weil man nicht so mobil ist wie die Leute, die nicht beeinträchtigt sind. Man ist oft abhängig von Betreuer*innen, die einen irgendwo hinbringen.«
Auch ich hatte Kontakt mit einer Berührerin, weil es für mich schwierig ist, eine Freundin zu finden. Nach meiner Meinung ist es für mich als Menschen mit einer Beeinträchtigung komplizierter, Kontakt zu haben mit einer Frau. Ich habe auch den Eindruck, dass Menschen mit Behinderung oft schüchtern sind. Ich hatte vor der Sexualbegleiterin keinen Kontakt mit Frauen, weil es schwierig ist Frauen anzusprechen, weil ich so schüchtern bin.
Ich finde das so mutig, was die Berührerin gemacht hat, weil sie mich ja nicht kannte. Und eigentlich ist es ja so, dass man nur dann engeren Kontakt hat, wenn man zusammen ist. Aber es war auch mutig von mir. Für mich war das eine gute Erfahrung, körperliche Nähe als Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Es war für mich ein gutes Gefühl, Kontakt mit einer Frau zu haben. Ich habe es trotzdem nicht noch einmal gemacht, weil es mir zu teuer war. Ich wollte kein Geld mehr dafür ausgeben. Weil die Sexualbegleiterin ja nicht meine Freundin ist und ich mir eine richtige Freundin suchen möchte.
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