Illustration einer Person, die am Boden liegt und faulenzt. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck streckt sie eine Hand zur Faust geballt nach oben. Um sie herum liegen verschiedene Gegenstände, wie zum Beispiel ein Handy, ein Laptop, Bücher, Stifte,ein Kalender und ein Wecker.

Die Faulenz-Revolution

7. Februar 2022

„Wenn alle so viel Faulenzen würden wie ich, dann wäre das schon gut."

 

Einfach mal Nichts zu tun fällt vielen schwer. Wieso eigentlich?

Hanna Gugler und Katharina Kropshofer
Illustration: Steffi Frossard

Faulenzen ist wichtig für mich, weil ich müde bin und faul bin. Ich bin immer faul. Schon seit ich ein kleines Kind war. Vor allem wenn ich daheim bin, bin ich viel zu viel faul. Dann faulenz ich immer vorm Laptop oder im Klo oder im Bett.

Donnerstagnachmittag, Redaktionssitzung. Hanna will nicht am Schreibtisch sitzen, sondern im Bett teilnehmen. Diskussion? Sinnlos.

In der Arbeit, da kann man nicht faul sein. Ich steh von Früh bis Nachmittag im Geschäft. Da muss ich so viel arbeiten: Produkte ins Regal stellen, Kunden beraten und Ablaufdatum nachschauen. Manchmal auch das Tiefkühltruhenfenster wischen. Ich arbeite voll gerne. Aber nach der Arbeit bin ich verspannt, dann bekomme ich Muskelkater. Vom Kistenheben und weil ich wisch wie eine Maschine. Das ist so schwer. Deswegen muss ich danach faulenzen.

Hanna ist die Trennung zwischen Arbeiten und Faulenzen – also dem „Nichtstun“ – wichtig. Eine gute Work-Life-Balance, würden manche sagen. Viele bekommen, wenn sie daran denken gar nichts zu tun, zuallererst ein Stressgefühl. Und beginnen im nächsten Schritt eine To-Do-Liste für ihre Freizeit zu erstellen: die Antithese zum Nichtstun. Wieso fällt es vielen von uns so schwer, in die Luft zu starren, die Leere Leere sein zu lassen? Und ist es überhaupt möglich, wirklich gar keinen Finger zu rühren?

Was die Wissenschaft zum Nichtstun sagt

Menschen sind sehr schlecht darin nichts zu tun. Das zeigen auch Experimente: Die Anleitung, die der Psychologe Timothy D. Wilson seinen Studienteilnehmer:innen 2014 gab, schien erstmal sehr einfach. Sie sollen sich alleine in einem Raum auf einen Stuhl setzen – und einfach nichts tun. Er wollte herausfinden, ob wir gut darin sind, einfach Nichts zu tun. Das einzige, was sie in dem Raum fanden? Einen Knopf, mit dem sie sich selbst einen Stromschlag zufügen konnten. Bereits nach wenigen Minuten tat das mehr als die Hälfte. Ein Mann (der aber ein Ausreißer der Gruppe ist) beschloss sogar, sich in der kurzen Zeit 190 mal selbst zu schocken. Wieso finden wir es so schwer, keine Aufgabe zu haben? 

Auch wenn Hanna faulenzt, tut sie selten nichts. Denn sogar wenn wir schlafen, sind wir produktiv: Unser Gehirn verarbeitet die Geschehnisse des Tages und verpackt sie in Traumbilder, unsere Zellen erneuern sich und auch die „Killerzellen“ unseres Immunsystems bauen sich nachts auf. 

Dabei lohnt es sich vielleicht auch einmal zu hinterfragen, warum wir eigentlich so versessen darauf sind, die ganze Zeit “produktiv” zu sein, also etwas “weiterzubringen”.  

Es scheint fast so, als fresse sich Arbeit – vor allem in Form von Kommunizieren, Bildschirmzeit, wenn wir auf das Handy oder den Computerbildschirm schauen – in unser Privatleben: Die US-amerikanische Autorin Jenny Odell beschreibt in ihrem aktuellen Buch „How to Do Nothing: Widerstand gegen die Aufmerksamkeitsökonomie“, wie das moderne Leben unsere Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. So sehr, dass die Grenzen zwischen Arbeit, Freizeit und Ruhezeit komplett verschwimmen. Wir haben also Wege gefunden, sogar unsere Freizeit so zu gestalten, dass sie uns nutzt. Oder: selbst das, was uns eigentlich einfach Spaß machen könnte, einem Effizienzprinzip unterzuordnen. Wir fragen uns also sogar in unserer freien Zeit: Was lohnt sich für mich oder andere? 

Aber was gilt eigentlich alles als Arbeit?

Knotzen heißt ich bin faul. Im Bett oder woanders. Manchmal auch beim Fernseher. Mir geht’s besser wenn ich knotze. Weil wenn ich heimkomme von der Arbeit, da muss ich zuerst Sachen wegräumen und kochen. Um vier am Nachmittag muss ich aufräumen und Nudelsalat machen. Dann duschen und dann ist erst Zeit fürs Bettknotzen. Das ist gut für mich. Auch wenn andere Leute weniger faulenzen als ich.

 

Illustration einer Person, die am Boden liegt und faulenzt. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck streckt sie eine Hand zur Faust geballt nach oben. Um sie herum liegen verschiedene Gegenstände, wie zum Beispiel ein Handy, ein Laptop, Bücher, Stifte,ein Kalender und ein Wecker.
Illustration: Steffi Frossard

Wer heute beschließt „nichts“ zu tun, hat also meist das Privileg, nicht auch außerhalb der Lohnarbeit – also die Arbeit, bei der man Geld verdient – arbeiten zu müssen. Auch wenn Hanna Nudelsalat für sich und ihre Familie kocht, könnte man das als Arbeit sehen. Noch vor der Pandemie wurden laut der WU-Professorin Katharina Mader neun Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit zum Beispiel für Altenpflege, Kindererziehung, Fürsorge, oder Haushalt geleistet. Das entspricht sogar ungefähr der Anzahl der  bezahlten Arbeitsstunden! Frauen leisten pro Woche um 12,5 Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Und während der Pandemie ist dieser Wert – etwa aufgrund von Home-Schooling – weiter gestiegen.

Die Debatte um unbezahlte Sorgearbeit (häufig auch aus dem Englischen “Care-Arbeit” bezeichnet) kocht immer wieder auf. Sie rückt nun die Frage in den Vordergrund, ob nicht langsam die Zeit gekommen sei, um über die Definition von “Arbeit” und ihren jeweiligen Stellenwert für unsere Gesellschaft zu debattieren? Wieso etwa wird die Arbeit von Pflege- oder Bildungspersonal weniger geschätzt – zumindest in der Bezahlung? 

Denn eines macht Odell in ihrem Buch deutlich: Unsere Ressourcen sind endlich. Wenn wir unser Geld – ob in Staat oder Betrieb – für zukunftsuntaugliche Technologien oder Initiativen ausgeben, bleibt für die zukunftstauglichen nichts mehr übrig. Wenn wir Unwichtigem, Belanglosem unsere Aufmerksamkeit schenken, bleibt für die uns wichtigen Menschen, Dinge oder Projekte keine Aufmerksamkeit mehr übrig.

Vielleicht müssen wir uns überhaupt fragen: Was würde passieren, wenn die Lohnarbeit nicht mehr im Zentrum unseres Lebens stünde? Wie würden wir all die Zeit nützen? Jenny Odells Ansatz: Sie fragt sich in einem alltäglichen Moment, was ihr an einer gewissen Szenerie noch nie aufgefallen ist. Ein Vogel vor dem Fenster oder ein Geruch auf dem Weg zur Arbeit. Sie tut das, um sich zu erden, um Unmittelbarkeit zu spüren, um sich die Umgebungen, in denen sie sich bewegt, bewusster zu machen. Das empfiehlt auch Hanna:

Mein Papa ist immer gestresst, der sollt auch mehr knotzen. Aber er spielt Mensch ärger dich nicht und tut dabei Nachos naschen. Das geht auch, das ist Faulenzen für ihn. Weil Faulenzen ist für alle anders. Mein Schatzi tut nie Bett knotzen. Der geht früh schlafen. Der hat keine Zeit fürs Knotzen. Aber wenn alle so viel Faulenzen würden wie ich, dann wäre das schon gut.