»Europa ist nicht so, wie man denkt.«

Im vergangenen Jahr haben Menschen mit Migrationsgeschichte weltweit 626 Milliarden Dollar nach Hause geschickt. Auch der österreichische Journalist Simon Inou. Ein Gespräch über Geld, Verantwortung und die fragwürdige Hilfe Europas.
Porträt Simon Ions

Geschrieben von

Simon INOU ist Journalist, Herausgeber von blackaustria.info, Leiter der Abteilung für öffentliche Angelegenheiten bei Radio ORANGE 94.0, dem größten Community Radio im deutschsprachigen Raum.

andererseitsWoran denkst du als erstes, wenn es um das Thema Geld und Vermögen geht?

Simon INOU: Eigentlich denke ich sofort an meine Mama in Kamerun. Obwohl sie 40 Jahre lang als Krankenschwester gearbeitet hat, bekommt sie keine Pension. Dass sie wenig Geld hat, ist für sie ein großes Thema geworden. Meine Geschwister, meine hiesige Familie und ich müssen sie jetzt unterstützen.
Einerseits ist es sehr schön, unterstützen zu können. Gleichzeitig ist es extrem belastend. Für das Unterstützen der Familie im Herkunftsland reicht ein gewöhnliches Gehalt nicht. Zusatzverdienste sind immer eine große Hilfe.

andererseits: Laut Weltbank leisten Migrant*innen mit sogenannten Rückzahlungen bzw. Remittances – also Geld, das an Verwandte in ihre Herkunftsländer geschickt wird –mehr als das Dreifache der Entwicklungszusammenarbeit aus Europa oder den USA. Im Jahr 2023 waren es rund 626 Milliarden Dollar.

INOU: Die Gelder aus der Entwicklungszusammenarbeit, die von Europa nach Afrika fließen, sind weniger als das, was die afrikanische Diaspora nach Afrika überweist. Innerhalb der kamerunischen Community gibt es zum Beispiel die sogenannte “Tantine”, das ist eine wöchentliche Sitzung, wo Freund*innen und Familie zusammenkommen. Sie sammeln Geld, um damit verschiedene Dinge in Kamerun zu finanzieren. Das heißt: Ich sehe mich nicht nur für meine eigene Familie verantwortlich, sondern für mein ganzes Land. 

andererseits: Unterstützen auch Migrant*innen, die kaum Geld in Österreich haben, ihre Familie im Herkunftsland? 

INOU: Wenn du aus einem afrikanischen Land kommst und in Europa lebst, erwartet man viel von dir. Die Erwartungen hängen aber auch damit zusammen, welche Bilder ich vom Leben in Europa produziere. Wenn ich ständig Bilder von mir schicke – heute in Wien, morgen in Paris, dann in Berlin – erwarten sie natürlich mehr Unterstützung. Ich sage meiner Familie ehrlich: Europa ist nicht, was man denkt. Man muss hart arbeiten.

andererseits: Wie hängen die Verteilung von Vermögen – in Österreich, aber auch weltweit – und Rassismus zusammen?

INOU: Wir als Migrant*innen schicken Geld nach Hause. Aber es sind die ehemaligen Kolonialmächte, die dieses Geld verwalten. Die ehemaligen Kolonien sind auch heute nicht unabhängig. Ihre Währung hängt von internationalen Währungen ab. Ihre Wirtschaft hängt vom internationalen Handel ab. Institutionen wie die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds machen diese Länder arm. Über solche Sachen wollen Politiker*innen nicht reden, sondern nur über Entwicklungszusammenarbeit. Die Entwicklungszusammenarbeit für afrikanische Länder existiert seit mehr als 60 Jahren und hat nichts verändert. Das heißt: irgendwas läuft da schief.  

andererseits: Kritiker*innen der Entwicklungszusammenarbeit sagen: Die Machtposition westlicher Länder wird durch Entwicklungshilfe aufrechterhalten. Stimmst du dem zu?

INOU: Von 5.000 Euro, die hier an einen Verein gespendet werden, zum Beispiel für die Unterstützung eines Krankenhauses in Afrika, geht ein großer Teil für die Fixkosten hier in Europa weg. Darüber müssen wir diskutieren. Ich sage: Afrika braucht keine Entwicklungshilfe.

Porträt Simon Inou mit Sonnenbrille

andererseits: Gibt es deiner Meinung nach eine gerechte Vermögensverteilung in Österreich?

INOU: Nein. Umverteilung existiert aufgrund der Prioritäten der Regierungen. Nicht nur im Anti-Rassismus-Bereich, auch Aktivist*innen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen sagen:  Unsere Politik nimmt Forderungen für ein menschenwürdiges Zusammenleben grundsätzlich nicht ernst.

andererseits: In unserer Reihe über Geld und Vermögen fragen wir alle: Ab wann ist man wohlhabend?

INOU: Für mich heißt wohlhabend sein, dass ich mich in meiner Arbeit entfalten kann, dass ich in einer Gemeinschaft von Menschen umgeben bin, mit denen ich mich wohlfühle aber auch über wichtige Themen austauschen kann. Bei mir ist wohlhabend sein, nicht nur eine
Frage des Geldes sondern eher auch eine Frage der Menschen, die mich umgeben. Nach der südafrikanischen UBUNTU Lebensweisheit „Ich bin, weil wir sind“.

andererseits: Du bist in einer reichen Familie aufgewachsen. Hat dich das geprägt?

INOU: Obwohl ich in einer reichen Familie aufgewachsen bin, war ich immer dagegen, dass man Menschen wegen dem Vermögen oder ihrer Abstammung unterschiedlich behandelt. Reiche Menschen glauben oft, die Welt ist für sie da. Ich bin so erzogen worden: „Du hast blaues Blut, alle müssen für dich schuften.“ Als ich beschlossen habe, Journalist zu werden, war die Hölle los in der Familie. Da war man es gewohnt, dass man Arzt wird oder im medizinischen Bereich arbeitet. Aber ich habe den Gerechtigkeitssinn von den Frauen meiner Familie geerbt. Von meiner Urgroßmutter, Großmutter und meiner Mutter.

Redaktion: Lisa Kreutzer, Patricia McAllister-Käfer

Lektorat: Patricia McAllister-Käfer

Fotos: Stefan Fürtbauer

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