Auf dem Bild ist eine blaue illustrierte Hand zu sehen, die ein handy hält. Am Display steht: Stippen und darunter: Keine Matches gefunden. Darunter ein gebrochenes herz

Geschlossene Gesellschaft

26. Oktober 2023

Unser Autor ist 33 Jahre alt und war noch nie auf einem Date. Er sehnt sich nach einer Beziehung. Doch seine Suche nach der großen Liebe blieb bisher ohne Erfolg.

Von Nikolai Prodöhl, unterstützt von Svenja Napp

Ich bin 33 Jahre alt und hatte noch nie eine Freundin. Auf einem Date war ich auch noch nie. Für Menschen mit einer Behinderung ist es nicht so einfach, eine Beziehung mit jemandem zu haben. Ich sehe viele Menschen, die in einer Beziehung sind, und dann macht es mich traurig und wütend, dass ich keine habe.

Ich hätte gerne eine Freundin, damit ich mich nicht allein fühle. Dann könnten wir gemeinsam Kochen oder auf Veranstaltungen gehen. Meine Partnerin soll fröhlich sein und viel lachen. Und sie soll natürlich aussehen. Für mich wäre bei einer Partnerschaft am wichtigsten die Liebe und weniger die Sexualität. Eine Frau mit Behinderung wäre für mich auch in Ordnung, weil sie sich dann mit Behinderungen auskennen würde.

Ich habe den Eindruck, dass es für mich schwieriger ist, eine Partnerin zu bekommen, weil viele Frauen Berührungsängste haben und nicht genau wissen, wie sie mit meiner Behinderung umgehen können. Ich habe versucht, Frauen im Bus, in der Bahn oder auf der Straße anzusprechen, aber das war auch schwierig. Man weiß nie, wie sie auf das Ansprechen reagieren, ob sie mit mir reden wollen oder nicht.

Es ist schon vorgekommen, dass sie mich ignoriert haben. Oder sie haben mir gesagt, dass sie keine Zeit zum Sprechen haben. Ein paar Mal habe ich mich unterwegs in der Bahn und in der Stadt mit Frauen unterhalten, aber alle hatten schon einen Freund.

Teures Online-Dating

Deshalb habe ich mich entschieden, Online-Dating auszuprobieren. In Deutschland und Österreich gibt es viele Online Partnervermittlungen und Singlebörsen. In einer YouGov-Umfrage von 2022 gaben mehr als ein Viertel der Deutschen an, bereits auf Online-Dating-Plattformen angemeldet gewesen zu sein. Eine Befragung im Auftrag des Digital Verbands Bitkom fand heraus, dass etwa die Hälfte der Nutzer daraus bereits eine feste Partnerschaft oder einen erotischen Kontakt entwickelt haben. Das macht mir Hoffnung, dass ich dort auch eine Partnerin finden kann.

Ich habe mich bei den Dating-Anbietern Tinder, OkCupid und Handicap Love angemeldet. Tinder und OkCupid funktionieren ähnlich, man sieht das Foto einer Person und das, was sie über sich schreibt, und entscheidet dann, ob man sie mag oder nicht. Wenn zwei Menschen sich gegenseitig „geliked“ haben, können sie miteinander schreiben.

Handicap Love ist die größte Partnersuche für Menschen mit Behinderung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich bezahle dafür im Jahr 39 Euro. Für die Gebühr kann ich mit jemandem in Kontakt treten und chatten. Die Plattform können Frauen komplett kostenlos nutzen im Vergleich zu Männern, was ich ungerecht finde, weil nicht nur Frauen nach Partnern suchen, sondern auch Männer wie ich. Auf den drei Plattformen habe ich mich registriert und mir ein Profil mit meinen Angaben wie Namen, Wohnort, Schule, Arbeit, Hobbys und Beziehungstyp erstellt.

Wann ich meine Behinderung anspreche

Über meine Behinderung habe ich von anfang an offen gesprochen, weil ich möchte, dass die Person auf mich eingeht und mich so kennenlernt, wie ich bin. Obwohl ich bei Tinder und OkCupid Angst habe, dass mich dadurch weniger Menschen liken. Und ich glaube, so ist es auch. Bei Tinder und OkCupid habe ich viele Frauen geliked, die ich hübsch fand, aber keine Likes zurückbekommen.

Ich habe mich dann entschieden, bei OkCupid Geld zu bezahlen, weil ich dann sehen kann, wer mich schon geliked hat. 16 Euro habe ich für einen Monat bezahlt. Dabei dachte ich, dass es Personen sind, die ich auch gerne mag. 30 Personen wurden mir angezeigt, aber die meisten kamen aus Indonesien, den Philippinen und Kenya. Aus Norddeutschland kamen nur ein paar Personen.

Viele fand ich nicht hübsch, und mir hat nicht gefallen, dass manche Frauen rauchen und nicht natürlich aussehen. Ich war sehr enttäuscht und habe das Abo gekündigt. Ein paar Frauen aus Hamburg habe ich eine Nachricht geschrieben, aber ich habe dort nur wenige Antworten bekommen. Eine Frau hat mich angeschrieben mit „Hey“, aber dann hat sie auch nicht mehr geantwortet. Ich hoffe, dass ich noch mehr Likes bekomme, um zu entscheiden, wer für mich in Frage kommen würde.



Online Dating und Inklusion – geht das?

Zusammen mit meiner Kollegin Svenja habe ich bei Tinder und OkCupidnachgefragt, welche Rolle Menschen mit Behinderung bei ihnen spielen. Wir wollten wissen, welche Bemühungen es gibt, die Plattformen inklusiv zu machen, ob sie im Austausch mit Mitgliedern stehen, die eine Behinderung haben und wissen, wie sie das Dating dort erleben. Und wir wollten wissen, wie viele Mitglieder bei ihnen eine Behinderung haben und was sie dagegen tun, wenn diese Menschen diskriminiert oder beleidigt werden. Leider hat OkCupid nicht auf unsere Anfrage reagiert und bei Tinder wurde uns nur ein Statement geschickt, obwohl wir mehrmals nachgefragt haben. In dem Statement steht: „Tinder setzt sich für digitale Inklusion in allen Formaten unserer Plattform ein.” Sie sagen auch, sie haben mit Firmen zusammengearbeitet, damit der Webauftritt zugänglich für Menschen mit Behinderungen ist. Das hat leider keine unserer Fragen beantwortet.

Also haben Svenja und ich weiter gesucht. Und Dr. Guido Gebauer gefunden. Wir haben ihn gefragt, warum es für Menschen wie mich so schwierig ist, eine Partnerin zu finden. Dr. Gebauer ist Psychologe, Dating-Coach und Mitgründer der Dating-Plattform Gleichklang. Bei Gleichklang muss jedes Mitglied ohne Behinderung bei der Anmeldung die Frage beantworten, ob es eine Person mit Behinderung daten würde.

Nur, wenn die Person mit „Ja“ oder „Vielleicht“ antwortet, werden ihr Personen mit Behinderung vorgestellt. Gebauer hat die Mitglieder, die mit „Nein“ geantwortet haben, nach den Gründen gefragt. Er hat gesagt: „Wir haben bei der Befragung festgestellt, dass recht viele glauben, eine Beziehung mit einer behinderten Person sei vorwiegend eine Belastung, ein reines Geben oder Ähnliches.“

Also habe ich mich bei Handicap Love angemeldet, weil ich gehofft habe, dass es dort einfacher ist, jemanden kennen zu lernen. Denn auf der Plattform sind nur Menschen angemeldet, die auch eine Behinderung haben. Das finde ich gut, weil es weniger Vorurteile gegenüber Behinderungen gibt und man nicht ignoriert oder beschimpft wird.

Handicap Love ist wie ein geschützter Raum, in dem ich so sein kann, wie ich möchte und nicht ausgegrenzt werde. Aber ich finde es auch schade, dass ich so keine Frauen ohne Behinderung kennenlernen kann. Die Profile, die ich bei Handicap Love gesehen habe, haben mir nicht gefallen, weil einige Frauen im Rollstuhl sitzen oder Depressionen haben. Ich wäre überfordert mit Menschen, die nicht laufen können oder sich schlecht fühlen. Ich möchte Frauen kennenlernen, die gute Laune haben und lustig drauf sind.

Über diesen Widerspruch habe ich lange nachgedacht. Dass ich von Anfang an eine sehr bestimmte Vorstellung habe, wie meine Partnerin aussehen soll und bestimmte Menschen ausschliesse. Und dann habe ich gemerkt: Ich habe keinen Kontakt zu Menschen, die im Rollstuhl sitzen und Depressionen haben. Deswegen habe ich Berührungsängste. Und andere haben keinen Kontakt mit Menschen, die überhaupt eine Behinderung haben. Sie kennen keine Menschen wie mich, die Lernschwierigkeiten haben und deshalb haben sie Berührungsängste mir gegenüber.

Wo treffen sich Menschen mit und ohne Behinderungen?

Ich wüsste, wie man das lösen könnte. Indem es eine inklusive Gesellschaft gibt, in der alle unterschiedlichen Menschen sich treffen. Aber weil die meisten Räume nicht inklusiv sind, geht das nicht. In meiner Sonderschule habe ich keine Menschen ohne Behinderungen getroffen. In meiner Werkstatt, in der ich jetzt arbeite, sind die Menschen ohne Behinderungen meine Chefs, nicht mehr Kolleg*innen.

Ich glaube, weil mein Umfeld nie inklusiv war, fällt es mir auch schwer in Kontakt zu kommen. Dr. Gebauer sagt, damit bin ich nicht allein. Er erklärt, dass Menschen mit Behinderung oft wenig Selbstbewusstsein haben, was ihnen beim Dating im Weg steht. „Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass man trotz Behinderung ebenso Liebe, Fürsorge, emotionale Unterstützung geben kann, wie andere Menschen auch.“

Gerade bin ich etwas enttäuscht, weil ich über Online Partnervermittlung noch keinen Erfolg hatte. Aber ich werde es weiter versuchen und hoffentlich finde ich bald jemanden, der mich auch gerne mag.

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