Hürden machen einsam

Leonie Schüler hat keine engen Freundschaften. Sie musste in ihrem Leben gegen viele Hürden kämpfen. Das hat sie einsam gemacht.
Eine junge Frau mit zusammengebundenen braunen Haaren sitzt im Rollstuhl. Sie ist beleuchtet, der Rest des Raumes liegt halb im Schatten. Die Frau trägt ein rosa-braun-geflecktes langärmeliges Shirt. Sie blickt seitlich an der Kamera vorbei.

Abends bin ich meistens allein in meinem Wohnzimmer. 

Ich telefoniere mit meiner Mutter. 

Danach arbeite ich. 

Ich arbeite, 

damit ich nicht merke: 

Ich bin einsam. 

Ich arbeite auch am Wochenende. 

Erst nach der Arbeit entspanne ich. 

 

Aber ich muss immer an eine Sache denken: 

Irgendwann werden meine Eltern nicht mehr da sein. 

Und ich werde nicht für immer arbeiten. 

Was bleibt mir dann? 

 

Forscher*innen haben herausgefunden: 

Menschen mit Beeinträchtigungen fühlen sich fast 5 Mal so oft einsam 

wie Menschen ohne Beeinträchtigungen. 

Warum ist das so?

 

Ich habe lange einen Ort gesucht,

an dem ich mich zuhause fühle. 

Damit war ich sehr beschäftigt. 

Deshalb hatte ich nicht viel Zeit für Freundschaften.

Ich dachte lange:

Das ist meine Schuld. 

Heute weiß ich:

Das stimmt nicht

Es liegt auch an vielen Hürden, 

die für mich die Teilhabe schwer machen.

Ein ziemlich voller Schreibtisch mit Stiften, Kabeln und Geräten. Im. Zentrum steht ein Tablet, darunter lieg eine Tastatur. Eine Frau, der wir über den Rücken sehen, sitzt vor diesem Tablet und hat die Finger teilweise auf der Tastatur.

Schon als Kinder getrennt

In der Schule hatte ich immer sehr gute Noten. 

Deshalb haben andere Schüler*innen mich Streberin genannt. 

Ich hatte keine engen Freundschaften. 

Manche von meinen Klassenkamerad*innen wechselten nach der Schule 

in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. 

Ich wollte das nicht

Darum verloren wir den Kontakt.

 

Ich habe eine Ausbildung gemacht.

Da war ich in einer Gruppe von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen.

Aber nach der Ausbildung hat sich die Gruppe getrennt. 

Wir waren gute Kolleg*innen, 

aber wir waren keine Freund*innen. 

 

Ich glaube, ein Grund dafür war: 

Viele Menschen können sich gar nicht vorstellen, 

mit mir befreundet zu sein. 

In unserer Welt sind Menschen mit und ohne Einschränkungen 

schon als Kinder getrennt. 

Deshalb gibt es viele Vorurteile und wenig Offenheit.

 

Vorurteil heißt:

Man hat eine Meinung über einen Menschen,

obwohl man den Menschen noch nicht kennt.

Oft ist die Meinung falsch,

weil man den Menschen noch nicht kennt.

Ein Selfie von drei Personen vor grauem Himmel. Leonie trägt einen blau-weißen Schal und ist in der Mitte zu sehen, links und rechts von ihr ist jeweils ein junger Mann mit Mütze bzw. Kapuze. Sie lächeln alle drei in die Kamera.

Ich habe erst Freunde gefunden,

als ich über 30 Jahre alt war. 

Meine Freunde sind Jungs, 

die zusammen in einer Wohn-Gemeinschaft leben. 

Aber es gibt ein Problem. 

Die Wohn-Gemeinschaft ist nicht barriere-frei. 

Barriere-frei heißt: ohne Hürden.

 

Die meisten Wohnungen in Deutschland sind nicht barriere-frei. 

In Geschäften und in Bussen und Bahnen gibt es auch viele Hürden. 

Ich kann nicht spontan essen gehen oder einkaufen. 

Meine Freunde waren oft in Clubs und auf Feiern, 

zu denen ich nicht mitgehen konnte. 

Ich fühle mich dann noch mehr allein. 

Ich fühle mich nicht willkommen,

wenn Orte nicht barriere-frei sind.

 

Eine Welt ohne Hürden ist für alle Menschen gut.

Alle Menschen können sich mehr begegnen,

wenn es keine Hürden gibt.

Es ist schön und wichtig für alle Menschen,

wenn sie viele unterschiedliche Menschen kennenlernen können.

Jetzt sind viele Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen einsam.

In einer Welt ohne Hürden sind weniger Menschen einsam.

Dann gibt es mehr Gemeinschaft.

Ein langer weißer Gang, der vordere Teil liegt im Schatten. Dort sehen wir Leonie schüler, Eine junge Frau im Rollstuhl, von hinten den Gang entlang fahren.

Endlich ein Ort, an dem ich mich zuhause fühle

Seit ungefähr einem Jahr bin ich in einem Fußball-Verein. 

Ich schaue bei Spielen zu und helfe im Verein mit. 

Im Frühjahr hatten wir ein Vereins-Treffen. 

Das Vereins-Heim ist nicht barriere-frei. 

Deshalb hatte ich Angst, 

dass ich von draußen zusehen muss. 

Ich kam abends an und war überwältigt: 

Am Eingang war eine Rampe. 

 

Ich hatte nicht gefragt,

ob jemand eine Rampe aufstellen kann. 

Aber jemand vom Verein hat an mich gedacht 

und die Rampe für mich aufgestellt. 

Ich war so berührt. 

Das war wie eine Einladung: 

Du gehörst hierher. 

Der Verein ist seitdem der einzige Ort, 

an dem ich mich zuhause fühle.

Geschrieben Von

Leonie Schüler

redaktion

Lisa Kreutzer

Mitarbeit

Emilia Garbsch

Fotos von

Marie Häfner, privat

Geprüft von

Luise Jäger

leichte sprache von

Constanze Busch

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