Einsames Genie? Blöde Streberin? Das Bild von Hochbegabung in unserer Gesellschaft ist von Vorurteilen bestimmt. Nicht zuletzt, weil unsere Schule kaum mit besonderer Begabung umgehen kann. Wie es anders geht: drei Jugendliche erzählen.
Text: Sandra Schmidhofer
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- In diesem Text geht es um Hochbegabung.
- Viele Menschen haben falsche Vorstellungen über Hochbegabungen.
- Drei hochbegabte Jugendliche erzählen uns von sich.
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Dass Rosa hochbegabt ist, war ihr lange nicht bewusst. Denn wie viele andere, kannte sie nur Klischees und Stereotype: Besserwisserin, Bücherwurm, ein sonderbares Wunderkind. Viele Freunde? Fehlanzeige. Aber dafür bekommt man später bestimmt einmal den Nobelpreis. Nichts davon trifft auf Rosa zu. Ihre Freizeit verbringt sie nicht mit Astrophysik, sondern mit Demonstrieren für den Klimaschutz. Sie hat keine Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen. Die 15-Jährige unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von anderen Jugendlichen in ihrem Alter. Und doch ging es ihr in der Regelschule anders als den meisten ihrer Klassenkolleg*innen: Sie fühlte sich unterfordert. Weil ihr das Tempo im Unterricht oft zu langsam war, zeichnete sie nebenbei. Bei den Lehrer*innen kam das nicht gut an. “Mich stört es, wenn Dinge nur oberflächlich behandelt werden”, erklärt Rosa. Doch ihre Lehrer*innen fanden ihr Verhalten respektlos.
Das Gefühl, den Unterricht absitzen zu müssen, kennen auch Korinna und Matheo. In der Unterstufe haben sie ähnliche Erfahrungen gemacht. Mittlerweile besuchen die drei Jugendlichen eine Oberstufe für Hochbegabte. Ich treffe Korinna und Matheo nach dem Unterricht. Nervös sind die beiden nicht. Sie sind es gewohnt, dass Journalist*innen ihre Schule besuchen. Mit Rosa spreche ich über Zoom, weil sie oft bis zum Abend in der Schule ist.
Alle drei haben Ähnliches erlebt: In der Volksschule wurden sie gut gefördert, mit eigenen Aufgaben und Projekten. In der Unterstufe ist diese individuelle Zuwendung weggefallen. Rosa wurde von ihren Mitschüler*innen ausgeschlossen und „Streberin“ genannt. Korinnas Wunsch nach mehr Förderung fand keinen Anklang: „Mir wurde gesagt: Ist doch schön, wenn du alles gut kannst. Da musst du dich doch nicht beschweren.”
Die drei Jugendlichen haben sich nicht wohlgefühlt. Deswegen stand für sie fest: So soll es nicht weitergehen.
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- Rosa, Korinna und Matheo sind hochbegabt.
An ihren alten Schulen haben sie sich nicht wohlgefühlt. - Der Unterricht war für sie zu einfach.
- Sie hatten Probleme mit den Lehrer*innen und Schüler*innen.
- Sie haben deswegen Schule gewechselt.
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Hochbegabung – was ist das?
Eigentlich klingt es wie ein Widerspruch: Warum haben es manche hochbegabte Jugendliche in der Schule schwer? Die Wissenschaftlerinnen Franziska Frohberg und Eva Hartmann sagen: Die meisten Menschen wissen nur wenig über Hochbegabungen. Sie wissen nicht, wie sie mit diesem Thema umgehen sollen. Das trifft auch auf Lehrer*innen zu. Frohberg und Hartmann forschen zu Bildung und Begabung. In dem Podcast “(hoch)begabt” erklären sie, was Hochbegabung ist und wie wir am besten damit umgehen sollen.
Um eine Hochbegabung festzustellen, wird meistens ein Intelligenztest gemacht. Personen, die einen IQ von 130 oder mehr haben, gelten als hochbegabt. Die Intelligenz alleine an das Ergebnis eines solchen Tests festzumachen, sehen viele skeptisch. Intelligenztests konzentrieren sich vor allem auf sprachliche Fähigkeiten, logisches Denken und Mathematik. Andere Stärken und Fähigkeiten, wie zum Beispiel soziale Kompetenzen oder Musikalität, werden nicht berücksichtigt.
“Es gibt verschiedene Modelle von Begabung“, sagt Frohberg. Fest steht: Kinder werden nicht mit Begabungen geboren. Manche Kinder kommen mit dem Potenzial für eine Hochbegabung zur Welt. Dieses Potenzial ist zum Teil genetisch bedingt. Um außergewöhnliche Leistungen schaffen zu können, muss dieses Potenzial aber erst entfaltet werden. Das passiert einerseits durch Motivation und Interesse, andererseits durch das richtige Umfeld. Das heißt: Persönlichkeitsmerkmale, die Familiensituation, der Zugang zu Wissen, die eigene Lernmotivation – all das beeinflusst, ob ein Kind eine Begabung entwickelt oder nicht.
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- Hochbegabung heißt:
Man kann etwas außergewöhnlich gut. - Man wird nicht mit einer Hochbegabung geboren.
- Nur manche können hochbegabt werden.
- Das richtige Umfeld ist dafür wichtig:
Die Familie, die Schule und die eigene Motivation.
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Unter Gleichgesinnten
Damit die Potenziale hochbegabter Kinder genutzt werden können, wurde im Jahr 1989 die Sir Karl Popper Schule als Schulversuch ins Leben gerufen. Schulversuch das heißt: Im großen Schulgebäude des Wiedner Gymnasium, werden die Räume sowohl für den Regelschulbetrieb als auch für die “Popper-Schüler*innen” genutzt. Ab der Oberstufe können Jugendliche mit Hochbegabung in getrennten Klassen unterrichtet werden. Voraussetzung dafür ist das Bestehen eines Aufnahmetests. Matheo, Rosa und Korinna haben diesen Test geschafft und haben nun eine Schule gefunden, an der sie sich wohl fühlen.
Die Sir Karl Popper Schule ist ein Ort, an dem Ideen für die Schule der Zukunft ausprobiert werden, erzählt Schulleiter Edwin Scheiber. Den Schüler*innen wird die Möglichkeit geboten, ihren Schulalltag ein Stück weit selbst mitzugestalten. Wer an Prüfungsangst leidet, kann beantragen, dass Schularbeitsnoten weniger stark in die Benotung einfließen. Wer sich mit den Grundlagen eines Fachs bereits gut auskennt, darf sich selbstständig vertiefen. Für Matheo war das ein Grund, sich an der Sir Karl Popper Schule zu bewerben. “Ich habe generell das Gefühl, dass einen die Lehrer hier mehr auf Augenhöhe sehen“, empfindet auch Korinna. Etwas, das ihr an ihrer alten Schule gefehlt hat.
Dass die Sir Karl Popper Schule eine öffentliche Schule ist, findet Schulleiter Scheiber wichtig. Viel zu oft komme der Vorwurf, eine Eliteschule zu führen. „Bei Eliteschulen denken alle an Kinder in blauen Blazern mit Goldknöpfen, wo Eltern Unsummen zahlen, damit ihre Kinder dort hinkommen können“, erzählt ein Lehrer. Ein Bild, das nicht der Realität entspreche. Scheiber hält jedoch fest: “Was ich schon glaube: Dass die Schüler*innen zu einer gewissen Elite werden. Eine Elite in dem Sinne, dass sie in verschiedenen Bereichen zu ganz besonderen Personen mit besonderen Aufgaben werden können.”
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- Die Sir Karl Popper Schule ist eine Schule für hochbegabte Jugendliche.
- Wer diese Schule besuchen möchte, muss einen Aufnahmetest machen.
- Korinna, Matheo und Rosa gehen in diese Schule.
- Dort dürfen sie viel mitentscheiden.
- Sie fühlen sich wohl.
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Vorurteile und Leistungsdruck
Auch die Schüler*innen kennen das Vorurteil, einer Bildungselite anzugehören. “Also es ist nicht direkt peinlich, aber es kommt dann schon immer direkt als erste Frage: Wie viel zahlst du denn für die Privatschule?”, erzählt Matheo. Negative Reaktionen auf ihre Schule kennt auch Rosa: “Es ist mir immer unangenehm, zu erzählen, dass ich auf einer Schule für Hochbegabte bin. Weil bei dem Begriff mitschwingt: Leute, die hochbegabt sind, fühlen sich als etwas Besseres. Ich fühle mich aber nicht als etwas Besseres, nur weil ich hochbegabt bin.”
Negative Kommentare zu ihrer Hochbegabung erfahren die Schüler*innen immer wieder. Es reicht von Aufforderungen, ihre Intelligenz zu beweisen über den Vorwurf, arrogant zu sein.
“Da merkt man einfach, dass die Leute teilweise ein sehr verzerrtes Bild von Hochbegabung haben“, hält Korinna fest, als wir gemeinsam im Büro des Direktors sitzen. Matheo nickt zustimmend: „Leicht stigmatisiert ist das Thema schon.“ Rosa erzählt auch von anderen Erfahrungen: „Wenn mir Leute nicht glauben, dass ich schlau bin, aufgrund meines Geschlechts oder der Art, wie ich mich gebe. Ich finde das komisch, denn irgendwie gehört es schon zu meiner Identität dazu.“
Tatsächlich wird bei Mädchen seltener eine Hochbegabung festgestellt als bei Jungen. Das liege aber vor allem an der Sozialisierung von Mädchen, hält Begabungsforscherin Eva Hartmann fest. Ähnliches wird bei Kindern mit Migrationshintergrund bzw. bei Kindern aus sozio-ökonomisch schwächeren Familien beobachtet. Diesen Kindern werde weniger zugetraut, hochbegabt sein zu können. Das führt dazu, dass sie seltener auf eine Hochbegabung getestet werden. Dieser Umstand zeigt laut Frohberg: “Ganz viel Bildungserfolg hängt noch immer davon ab, aus welchem Elternhaus man kommt.”
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- Es gibt viele Vorurteile gegen Hochbegabte.
- Das stört Matheo, Korinna und Rosa.
- Viele glauben:
Mädchen, Kinder mit Migrationshintergrund
oder Kinder aus sozial schwächeren Familien
sind nicht oft hochgebet. - Deswegen werden sie nicht so oft getestet.
- Das stimmt aber nicht.
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Die Schule der Zukunft
In Diskussionen über Sonderschulen und Mittelschulen wird der bisherige Weg der Segregation – also das Trennen von Kindern und Jugendlichen nach ihrer Leistungsfähigkeit – von Expert*innen zunehmend kritisiert. Wenn es um die Förderung hochbegabter Kinder und Jugendlicher geht, scheint die Idee einer Gesamtschule für alle jedoch weniger Anklang zu finden.
Scheiber spricht sich dafür aus, dass Hochbegabte auch an Regelschulen gut gefördert werden. Trotzdem seien Angebote wie die Sir Kar Popper Schule gerade für besonders begabte Kinder sinnvoll. Nur so können sie die Förderung erhalten, die sie benötigen. Bildungsforscherin Eva Hartmann sieht es ähnlich. Sie hält ein Schulsystem, das auf unterschiedliche Bedürfnisse Rücksicht nimmt, aber grundsätzlich für möglich. Allerdings nur dann, wenn es entsprechende Ressourcen dafür gibt. Das heißt konkret: Mehr Personal, mehr Zeit, mehr Geld.
Eine eigene Schule für Hochbegabte kann auch ein Schutzraum sein, hält Scheiber fest: „Die sind unter sich. Die müssen sich nicht dafür rechtfertigen, dass sie besonders viel lernen wollen oder dass sie dauernd aufzeigen“. Ein Lehrer untermauert: „Man merkt schon an den Schüler:innen hier an der Popper Schule: Die haben ein anderes leben und leben lassen als in einer Regelschule. Weil sie einfach die Erfahrung gemacht haben, dass sie selber oft irgendwie anders waren als andere.”
Rosa findet die Idee einer Gesamtschule nicht schlecht. Zum einen würde sie mehr Chancengerechtigkeit bringen. „Wenn man sieht, dass manche mehr Förderbedarf in einem Fach haben, kann man ja auch in der gleichen Schule Leute in unterschiedliche Gruppen einteilen. Aber das darf halt nie wertend sein“, hält Rosa fest. So könne verhindert werden, dass manche Kinder unter- oder überfordert sind.
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- Soll es eigene Schulen für Hochbegabte geben?
- Der Direktor von der Sir Kar Popper Schule
- und die Wissenschaftlerin Eva Hartmann sagen:
Ja, wir brauchen solche Schulen. - Rosa wünscht sich eine Schule für alle.
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Runter vom Podest
Laut Hartmann und Frohberg braucht es beim Thema Hochbegabung noch viel Aufklärung. “Viele glauben: Hochbegabt heißt, ich schreibe nur Einser. Hochbegabt heißt, für Einser muss ich nicht lernen. Hochbegabung heißt, mir fällt alles leicht. Einem werden Kompetenzen und Fähigkeiten zugeschrieben, die man vielleicht gar nicht bedienen kann. Und plötzlich hat man Angst, sie bedienen zu müssen“, so Frohberg.
Es wäre wichtig, Hochbegabte nicht ständig als „Super-Menschen“ zu sehen, betont sie, “dass man aufhört, die so auf ein Podest zu stellen und wie Aliens zu betrachten, weil sie sich viele Sachen merken oder richtig schnell rechnen können.”
Eine Ansicht, die auch Korinna, Matheo und Rosa teilen. „Eine Hochbegabung sagt nichts darüber aus, wer diese Person ist”, sagt Rosa. Korinna fasst es so zusammen: „Wir sind auch nur ganz normale Menschen.”
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- Die Wissenschaftlerin Franziska Frohberg sagt:
- Hochbegabte sind keine “Super-Menschen”.
- Korinna findet das auch.
- Sie sagt: “Wir sind auch nur ganz normale Menschen.”
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Redaktion: Lisa Kreutzer
Grafik: Moritz Wildberger
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