Werkstätten für Menschen mit Behinderungen stehen in der Kritik. Warum, das haben wir in dieser Serie erklärt. Dafür haben wir mit unseren Kolleg*innen von der Süddeutschen Zeitung mit vielen Menschen gesprochen. Sie hatten sehr unterschiedliche Meinungen. Aber in einem waren sich alle einig: Das Werkstatt-System muss sich verändern.
Wir haben uns Ideen angesehen, die Werkstätten verbessern oder Alternativen schaffen wollen. Es sind die bekanntesten Ideen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass die Politik sie aufgreift. Aber: Auch mit den vorgestellten Änderungen wäre die UN-Behinderten-Rechts-Konvention in Deutschland noch nicht umgesetzt. Dafür müssen sich unsere Gesellschaft und die Arbeits-Welt stark verändern, hin zu einem inklusiven System.
1. Lohn statt Taschengeld
Das Problem: Werkstatt-Beschäftigte erhalten nur Taschen-Geld und sind meist von Sozial-Leistungen abhängig und oft armutsbetroffen. Dabei haben sie laut UN-Behinderten-Rechts-Konvention ein Recht darauf, mit ihrer Arbeit genug Geld zum Leben zu verdienen.
Welche Lösungsversuche gibt es?
Vorschlag 1: Mindest-Lohn
Es werden verschiedene Ideen diskutiert, wie das Einkommen von Werkstatt-Beschäftigten verbessert werden kann. Eine davon: Mindest-Lohn auch in Werkstätten.
Das fordern auch Werkstatt-Beschäftigte wie die Inklusions-Aktivistin Natalie Dedreux. „Sonst ist das nicht gerecht“, hat sie Anfang des Jahres in einer Rede gesagt.
Auch die Entgelt-Studie schlägt einen Mindest-Lohn in Werkstätten vor. Der müsste vom Staat mitfinanziert werden. Die Studie wurde letztes Jahr im Auftrag vom Bundes-Sozial-Ministerum veröffentlicht und hat untersucht, wie das Einkommen für Werkstatt-Beschäftigte verbessert werden kann.
Aber nicht alle Werkstatt-Beschäftigte wollen den Mindest-Lohn. Die Werkstatt-Räte Deutschland machen sich zum Beispiel Sorgen, dass damit „Schutz-Rechte von Werkstatt-Beschäftigten wie Arbeitsplatz-Garantie, keine Leistungs-Verpflichtung und eine praktische Unkündbarkeit“ verloren gehen. Außerdem bleiben beim Mindest-Lohn Menschen, die nur wenige Stunden arbeiten können, von Sozial-Leistungen abhängig. Für beide Probleme könnte die Politik aber Lösungen finden.
Vorschlag 2: Basis-Geld
Die Werkstatt-Räte Deutschland fordern statt des Mindest-Lohns ein Basis-Geld. Es soll so hoch sein wie 70 Prozent vom Durchschnitts-Einkommen in Deutschland. Damit hätte man letztes Jahr etwa 1.600 Euro Basis-Geld im Monat bekommen. Das Geld soll es für alle Menschen geben, die als „voll erwerbsgemindert“ gelten. Auch wenn sie nicht in der Werkstatt arbeiten. Es wäre ein Grund-Einkommen, das nicht von Arbeits-Zeit und Arbeits-Menge abhängt.
Aber die Idee vom Basis-Geld wird auch kritisiert: „Der Charakter einer ‚Sonderwelt‘ wird damit nicht beseitigt, und Anreize zu einem Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt werden nicht verstärkt“, schreiben die Autor*innen der Entgelt-Studie.
Was braucht es für die Lösung noch?
Beide Ideen haben Vor- und Nachteile. Politisch Verantwortliche müssen prüfen, wie sie eine gute Lösung für alle Werkstatt-Beschäftigten finden. Dafür braucht es zuerst den politischen Willen für größere Veränderungen.
2. Werkstätten als Teil vom inklusiven Arbeitsmarkt
Das Problem:
Werkstatt-Beschäftigte haben kein Recht auf Mindest-Lohn, kein echtes Streik-Recht und keine Arbeitslosenversicherung. Werkstätten sind nicht inklusiv. Dort arbeiten Menschen mit Behinderungen unter sich. Aber die UN-Behinderten-Rechts-Konvention schreibt vor, dass es gleichberechtigte Teilhabe und gleiche Rechte außerhalb vom Sonder-System geben muss.
Welche Lösungsversuche gibt es?
Inklusions-Unternehmen
Neben Werkstätten gibt es in Deutschland eine Alternative: Inklusions-Unternehmen. Bei ihnen haben mindestens 30 Prozent der Mitarbeiter*innen eine Behinderung. Der Staat zahlt für ihre Anstellung dauerhaft Geld.
Menschen mit und ohne Behinderungen sind in Inklusions-Unternehmen Kolleg*innen – nicht Betreuer*innen und Betreute: Die Hälfte der Angestellten darf keine Behinderung haben.
Und alle Mitarbeiter*innen haben die Rechte von Arbeitnehmer*innen. Sie können also etwa streiken und bekommen zumindest Mindest-Lohn. Auch Inklusions-Unternehmen haben wie Werkstätten soziale Aufgaben: Sie sollen bei der Arbeit unterstützen, weiterbilden und helfen, Jobs auch außerhalb zu finden.
Was braucht es für die Lösung noch?
Werkstätten könnten also Schritt für Schritt zu Inklusions-Unternehmen umgebaut werden – dabei müsste die Politik darauf schauen, dass die Rechte und Pflichten für alle Angestellten mit Behinderungen passen. Doch nur auf Inklusions-Betriebe zu setzen, wäre auch keine vollständige Umsetzung der UN-Behinderten-Rechts-Konvention. Am Ende muss der ganze allgemeine Arbeitsmarkt inklusiv werden.
3. Unterstützungs-Angebote mehr nutzen und ausbauen
Das Problem:
Der Weg für Werkstatt-Beschäftigte in Anstellungen ist schwer – und selten. Weniger als ein Prozent geht ihn. Ein Grund: Wenn man in die Anstellung geht, verliert man die Unterstützung der Werkstatt.
Welche Lösungsversuche gibt es?
Um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am allgemeinen Arbeitsmarkt leichter zu ermöglichen, gibt es bereits politische Maßnahmen in Deutschland:
- Das persönliche Budget, bei dem Menschen mit Behinderungen nach Bedarf Geld für Unterstützung im Alltag bekommen.
- Unterstützte Beschäftigung, bei der Menschen mit Behinderungen direkt in Betrieben so ausgebildet werden, dass der Job gut zur Person passt.
- Und das Budget für Arbeit, bei dem der Staat bis zu drei Viertel vom Lohn zahlt und eine Fachkraft, die bei der Arbeit unterstützt.
Alle drei Maßnahmen gibt es, um mehr Inklusion und Teilhabe zu ermöglichen. Das Budget für Arbeit ist sogar extra für Werkstatt-Beschäftigte gemacht worden. Es ist nur für Menschen, die auch in Werkstätten arbeiten könnten. Wenn sie damit angestellt werden, erhalten sie zumindest Mindest-Lohn. Dank der Lohn-Förderung kann das für Arbeitgeber*innen am Ende sogar günstiger sein als Aufträge an Werkstätten. Das ist also ein Anreiz zur Anstellung.
Wenn man davor in der Werkstatt war, behält man laut Bundes-Sozial-Ministerium mit dem Budget für Arbeit meist auch den Anspruch auf die erhöhte Erwerbs-Minderungs-Rente. Es wird dabei aber oft weniger Geld in die Renten-Versicherung eingezahlt als in der Werkstatt. Die Rente ist dann also niedriger. Das Bundes-Sozial-Ministerium will diese Benachteiligung abschaffen.
Was braucht es für die Lösung noch?
Viele Menschen mit Behinderungen und viele Arbeitgeber*innen kennen die Angebote für Unterstützung gar nicht. Sie müssten bekannter werden – und sie zu beantragen, einfacher. Außerdem müsste sichergestellt werden, dass alle Menschen mit den Angeboten auch genug Unterstützung bekommen. Und es bräuchte es wohl mehr Organisationen, die sich nur um die Umsetzung kümmern – denn Werkstätten selbst haben oft zu wenige Anreize dafür.
Geschrieben Von
Emilia Garbsch
Nikolai Prodöhl
und von
Sabrina Ebitsch,
Natalie Sablowski
Redaktion
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Wie arbeiten wir als Redaktion?
Unsere Recherche zu Werkstätten haben wir in Zusammen-Arbeit mit der Süddeutschen Zeitung gemacht.
Den Text der Süddeutschen Zeitung liest Du hier.
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