Porträt der Regisseurin Evelyne Faye

»Ich wollte mit Vorurteilen brechen«

27. März 2023

Ein Gespräch mit Regisseurin Evelyne Faye über Vorurteile gegenüber Menschen mit Trisomie 21 und der vielleicht zu heilen Welt in ihrem Dokumentarfilm LASS MICH FLIEGEN.

In Evelyne Fayes ersten Dokumentarfilm portraitiert sie vier junge Menschen, die selbstbestimmt leben, tanzen, Pläne für die Zukunft schmieden und Trisomie 21 haben. Für den Film hat die Regisseurin den vergangene Woche den Franz-Grabner-Preis auf der Diagonale gewonnen. 

„Wir sehen ihren (Evelyne Fayes) Blick auf das fröhliche Kind, voller Zuversicht, dass diesem ein selbstbestimmtes Leben gelingen wird. Diese Hoffnung gründet überzeugend auf den einfühlsamen und gewitzten Porträts der vier Protagonist*innen. Das Down-Syndrom tritt in den Hintergrund der Erzählung.“, begründet die Festival Jury die Auszeichnung.

Bildet diese optimistische Darstellung vom Leben mit Trisomie 21 die Realität ab? Oder nur die, von den Privilegierten?

Ein Filmgespräch.  

 

Fabian Füreder: Warum hast du den Film „Lass mich fliegen“ gemacht, Evelyne Faye? 

Evelyne Faye: Ich wollte der Mehrheitsgesellschaft die Möglichkeit geben, einen Einblick in die Welt von Menschen, die als „anders“ wahrgenommen werden, zu bekommen. Mein erstes Konzept war anders als der Film, der jetzt im Kino läuft. Ich wollte die Lage von Inklusion an Schulen und in der Arbeitswelt in verschiedenen Ländern vergleichen. Auch wegen der Pandemie musste ich dann mein Konzept weniger international gestalten. 

FF: Was willst Du mit deinem Film sagen?

EF: Wenn man Etiketten für Menschen hat, dann hat man eine falsche Vorstellung von der Realität. Wenn man da nicht dahinter schaut, dann verpasst man was. Man wird von den Menschen nicht bereichert oder inspiriert, wenn man davor stoppt. Ich wollte mit dem Film zeigen, dass viele Ideen, die Menschen über Menschen mit Downsyndrom haben, völlig falsch sind. Das gilt nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern für alle, die man als „anders“ beschreibt. Ich will eine Öffnung schaffen, wo Menschen sich begegnen können.

Katharina Brunner: Bei einer Diagonale-Filmvorstellung sagtest Du, Du willst, dass Menschen sich „gut und inspiriert fühlen“, nachdem sie Deinen Film gesehen haben. Ist dein Film ein Feelgood-Movie? 

EF: Ich möchte, dass Menschen sich gut fühlen, weil sie etwas gelernt haben und weil sie ihre Vorurteile fallen lassen, ohne aber ein schlechtes Gewissen zu haben. Sobald man überrascht wird, wird man daran erinnert, dass man zuvor falsch gedacht hat. Es ist ein Feel-Good-Movie aber im Kern des guten Gefühls soll eine Bewusstseinsveränderung passieren.

FF: Ich kenne viele mit Downsyndrom, deren Leben nicht so einfach ist, wie das von den Personen im Film. Die Personen in Deinem Film sind alle ziemlich ähnlich. Sie können so sprechen, dass die Leute sie leicht verstehen, sie schreiben selbst, leben selbstbestimmt. Das ist aber bei vielen anderen mit Trisomie 21 nicht so. Warum sind solche Menschen nicht im Film? 

EF: Das ist eine gute Frage. Ich habe oft darüber nachgedacht und viele Menschen haben mir gesagt, ich erzähle von dem einen Prozent, dem es so gut geht. Und „alle anderen“ sind ganz anders. Da war von Anfang an eine große Skepsis. Ja, die Protagonist:innen können als Ausnahme gelten. Aber ich dachte mir: Ich habe 80 Minuten Zeit, das ist nicht lange. Und ich wollte eben mit Vorurteilen, zum Beispiel, dass Menschen mit Downsyndrom nichts können, brechen. Für mich war es wichtig, dass sie gerne und viel über sich und wie sie die Welt sehen, reden wollen und können. Ich wollte, dass sie selbst für sich und ihre Wünsche sprechen und nicht über sie gesprochen wird. Die 80 Minuten hätten nicht gereicht, um verständlich zu machen, dass auch Menschen, die nicht so gut sprechen können wie die Protagonist:innen, besondere Persönlichkeiten sind. Dafür hätte man einen anderen Film machen müssen.

KB: Für Menschen, die im eigenen Leben keinen Kontakt haben mit Menschen mit Trisomie 21 und Deinen Film schauen, bedeutet das, dass sie hauptsächlich dieses Bild haben, das nur für wenige die Realität ist. Nimmst du das also einfach in Kauf? 

EF: Ja. Wichtig ist aber, sie nicht als Ausnahme abzustempeln, sondern auch zu sehen, welche Rahmenbedingungen bei Ihnen da sind, sodass sie sich eben so gut als Personen weiterentwickeln konnten. Sie genießen bestimmte Vorteile. Wenn die alle hätten, dann gäbe es wahrscheinlich für viele andere auch mehr Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Ich wollte Möglichkeiten aufzeigen.

FF: Im Film wohnen alle selbstständig und es scheint leicht zu sein. Im echten Leben ist es für viele nicht leicht möglich. Hast Du die Geschichten darüber nicht gefunden?

EF: Doch, tatsächlich hat es für eine der Protagonistinnen auch lange gedauert, bis sie eine passende Wohnsituation gefunden hat. Ich wollte sie gerne bei dem Prozess begleiten, aber sie wollte das nicht und das musste ich akzeptieren.

KB: In Deinem Film geht es vor allem um persönliche Geschichten. Warum hast Du den strukturellen Problemen und den Fehlern der Politik weniger Raum gegeben?   

EF: Das war vor allem eine dramaturgische Entscheidung. Ich wollte zuerst auch mehr über Gesetze und Politik einbringen. Der Weg über die emotionalen Geschichten aber sind, denke ich, attraktiver und ansprechender für viele. Sie braucht es, um das Thema überhaupt zu öffnen für mehr Menschen. Jetzt spricht er die strukturellen Probleme zwar an, aber sie werden tiefgehender in den Filmgesprächen danach diskutiert. Der Film ist wie eine Einleitung dazu.

KB: Wenn das System eine größere Rolle spielt, dann blickt man auch eher auf die Fehler der Politik und der Gesellschaft und dadurch auch auf die von sich selbst. Ist das ein Grund, warum der Fokus auf die persönlichen Geschichten besser funktioniert? 

EF: Ich glaube, die Gesellschaft ist schon offen für Systemkritik. Aber wir erleben so viel Unsicherheit derzeit. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich denke deshalb: wenn man sich beim Erzählen von Anfang an voll auf die Probleme (im System) fokussiert, dann hätten weniger Leute Lust, sich überhaupt mit dem Thema zu beschäftigen. Ich denke, dadurch, dass der Film Stärke und Empowerment zeigt und was wir alles voneinander lernen können, entsteht erst diese Offenheit fürs Thema. Der Film ist wie ein erster Schritt und eine Einladung, sich mehr damit zu beschäftigen.

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Klatschende Hände

Foto: Philipp Horak

Redaktion: Lisa Kreutzer