Wünschen sich alle Menschen eine klassische Liebesbeziehung mit Sex? Ja klar, würden die meisten Menschen sagen. Asexuelle und aromantische Menschen erleben das anders und wollen raus aus der Unsichtbarkeit. Drei Protokolle
Protokolliert von Armin Längle und Lisa Kreutzer
»Seid ihr nicht einfach nur beste Freunde?«
Luka, 24, Tirol
Ich bin konservativ aufgewachsen. Da war die Idee, dass ich irgendwas anderes als heterosexuell sein könnte nicht da. Das war so bis ich etwa 16 Jahre alt war. Ich meine, es war mir klar, dass irgendwas anders ist, aber ich hatte kein Wort dafür. Ich wusste nur: Ich habe Angst vor der Idee eine Hochzeit zu haben. Ich habe Angst davor eine Beziehung mit einem Mann einzugehen,der dann in einem gewissen Ausmaß ein Recht auf meinen Körper hat.
Bei mir hat es angefangen, dass ich wirklich darüber nachgedacht habe, als ich mein Geschlecht in Frage gestellt habe. Da war ich knapp 20 Jahre alt. Heute weiß ich: Ich bin nicht-binär, aromantisch und asexuell.
Asexualität ist meiner Meinung nach sehr komplex. Ich glaube, viele verstehen nicht, was das bedeutet. Es gibt einen Unterschied zwischen sexueller Orientierung (wen will ich?), Sexualtrieb (was will ich?) und Sexualverhalten (was tue ich?).
Das einzige was mir fehlt ist die sexuelle Orientierung, die auf eine andere Person hingerichtet ist. Ich habe also keine sexuelle Anziehung gegenüber jemand anderem. Das ist meine Asexualität.
Aber ich glaube, dass ich die Feinheiten meiner Identität und die Feinheiten der Möglichkeiten der Emotionen, die ich empfinden kann, noch nicht komplett ausgelotet habe. Ich weiß nur, ich befinde mich irgendwo auf dem asexuellen Spektrum. Ich glaube nicht, dass ich irgendwann auf magische Art und Weise hetero werde, aber ich glaube um mich ganz genau zu definieren, brauche ich noch mehr Lebenserfahrung und Zeit.
An und für sich mag ich Körperkontakt sehr gern. Ich hätte auch gerne eine Beziehung. Aber was ich als Beziehung definiere, ist nicht unbedingt sexuell oder romantisch oder exklusiv. Wenn ich mal eine Beziehung haben werde, dann wird das wohl einfach so passieren, dann wird es einfach klicken. Ich kann mir auch vorstellen mit mehreren Personen gleichzeitig in einer Beziehung zu sein.
Wenn ich Leuten davon erzähle, wie ich mir eine Beziehung vorstelle, dann werde ich immer gefragt: »Ist das nicht einfach eine beste Freundschaft?« In unserer Gesellschaft werden Beziehungen, die sexuell oder romantisch sind, immer etwas höher bewertet, als andere Beziehungen. Sie werden auf ein Podest gestellt und als wichtiger angesehen. So ist das in unserer Gesellschaft nun mal, aber für mich ist das anders.
A_sexuell, A_sexualität, nonsexuell:
Eine a_sexuelle Person fühlt keine oder wenig sexuelle Anziehung zu anderen Menschen. A_sexualität hängt nicht zwangsläufig mit A_romantik zusammen. Als aromantisch bezeichnet sich eine Person, die keine romantische Anziehung verspürt und/oder kein Interesse an romantischen Beziehungen hat.
Der Unterstrich in “A_sexualität” verdeutlicht, dass es sich um ein Spektrum handelt.
Quelle: Queerlexikon.
»Ich habe viele Dummheiten gemacht, aber nie wegen Sex.«
Viktoria Sulyok, 42, Budapest
Mein Name ist Viktoria, ich bin 42 Jahre alt und wohne in Budapest, das ist die Hauptstadt von Ungarn. Ungarn ist ein Nachbarland von Österreich.
Meine Freund*innen haben mich früher immer gefragt: »Welche Männer gefallen dir? Oder welche Frauen gefallen dir?« Und ich hatte keine Antwort. Dann haben sie gesagt: »Du musst halt noch erwachsen werden.«
Aber das hat nicht gestimmt. Ich wusste damals nur noch nicht warum mir niemand gefallen hat. Denn als ich Teenager war, gab es noch ganz wenig Informationen zu Asexuelität und Aromantik. Mit 36 Jahren habe ich dann im Internet viel darüber gelesen. Da wurde mir klar, dass ich asexuell und aromatisch bin.
Eigentlich stimmt es aber auch nicht, dass mir niemand gefällt. Ich finde viele Menschen schön. Ich sage dann immer: »Sie sind schön wie ein Bild.« Aber ich möchte keinen Sex und keine Beziehung mit ihnen.
In unserer Gesellschaft ist eine Annahme weit verbreitet: Man muss Sex haben wollen und man muss eine Beziehung haben wollen. Alles andere gilt nicht als normal. Und weil ich normal sein wollte, hatte ich Sex und Beziehungen. Ich war drei Jahre mit einem netten Mann zusammen. Da war ich 19 Jahre alt. Aber die Beziehung war nicht das, was ich mir von Herzen wünschte.
Also dachte ich, ich sei lesbisch. Das heißt, dass ich lieber mit einer Frau Sex haben wollte und eine Beziehung haben wollte. Viele Jahre habe ich dann nur Sex mit Frauen gehabt. Ich kann das genießen, aber ich brauche nicht unbedingt Sex. Ich dachte dann ich sei eine »wählerische Bisexuelle«.
Das ist typisch für uns Asexuelle. Erst denkt man, man ist heterosexuell. Dann denkt man, man ist homosexuell oder bisexuell (egal welches Geschlecht). Und am Ende kommt man drauf: »Halt, vielleicht bin ich ja asexuell!« Ich brauche Sex und Beziehungen einfach nicht so wie andere Menschen.
Unsere Gesellschaft hat Scripts, also schon geschriebene Geschichten, die uns helfen und uns durch das Leben leiten. Eine solche Geschichte ist, dass man eine Beziehung haben soll und Sex haben soll. Das macht das Leben und Entscheidungen für viele Menschen manchmal leichter. Aber wenn man nicht genau in diese Geschichte passt, dann macht es das Leben schwieriger.
Ich habe da zum Beispiel nie reingepasst. Mir wurde gesagt, es ist komisch, dass ich keinen Sex und keine Beziehung will. Mir wurde gesagt, ich habe ein Trauma und ich habe Angst vor Männern. Oder ich wurde vergewaltigt oder ich bin lesbisch aber kann es nicht akzeptieren. Aber das stimmt nicht. Ich bin asexuell und aromantisch, weil ich so geboren wurde.
Ich will eine Beziehung, aber nicht so, wie die Mehrheitsgesellschaft sich das vorstellt. Denn es gibt mehr als nur romantische Liebe. Ich wünsche mir eine queer-platonische Beziehung. Ich umarme auch gerne meine Freund*innen, ich berühre andere Menschen viel und halte Händchen. Und wenn Freundschaften zerbrechen, kann mir das auch sehr sehr weh tun.
»Ich wollte nur normal sein«
Erwin Rossmann, 39, St. Pölten
Ich heiße Erwin Rossmann. Ich bin 39 Jahre alt und ich wohne in St. Pölten. Schon als Teenager habe ich gemerkt, dass irgendwas anders ist. Ich habe gedacht es liegt an mir. Ich wollte mich immer normal fühlen, ich habe mir so gewünscht einfach nur normal zu sein. Aber keinen Sex und keine Beziehung zu wollen, gilt in unserer Welt nicht als normal.
Ehrlicherweise konnte ich den Gedanken nicht ertragen nicht normal zu sein. Also hatte ich immer wieder Beziehungen mit Frauen. Aber die haben nicht geklappt. Weil ich eine Beziehung anders führen will, aber nicht sagen konnte, wie. Ich möchte keinen Sex und keine Romantik. Aber ich wusste nicht warum. Heute weiß ich: Ich bin asexuell und aromantisch.
Erst vor ein paar Jahren habe ich angefangen zu forschen. Im Internet, in Gruppen auf Social Media und in Foren. Diese Gruppen im Internet gab es noch nicht als ich jung war. Mit 39 Jahren habe ich dann Leute gefunden, die sind wie ich. Da habe ich mich geoutet, das heißt, ich habe anderen Menschen erzählt, dass ich aromantisch und asexuell bin.
Die Zeit vor meinem Outing war irrsinnig schrecklich, weil ich nie wo hineinpasst habe. Und unsere Gesellschaft hat sehr enge Regeln wie Menschen sein sollen. Gerade wenn es um Sexualiät und Beziehung geht. Oft habe ich gehört: »Warum hast du keine Beziehung?« Die Leute fanden mich komisch. Ich habe mich zurückgezogen und viel Computer gespielt. Heute weiß ich, dass es ganz viele unterschiedliche Arten von Sexualität und Beziehungen gibt.
Nach meinem Outing haben Menschen zu mir gesagt, dass ich einfach nicht beziehungsfähig sei, und dass das jetzt eine Ausrede sei. Und dass ich nur in einer Phase stecke und bei einem Trend mitmache. Aber das hören ja die meisten Menschen, die nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören.
Seit dem Outing geht es mir viel besser und ich wünsche mir eine Beziehung, die wie eine tiefgehende Freundschaft ist. Alle heiligen Zeiten könnten ich und meine Partnerin dann auch Sex haben. Aber es sollte auf Freundschaft basieren. Das nennt man »Queer-platonische-Beziehung«.
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