Bilder: Stefan Fürtbauer

andererseits: Herr Föllerer, Sie setzen sich seit Jahren dafür ein, dass Werkstätten reformiert werden. Warum?  

Oswald Föllerer: In Werkstätten verdienen Menschen mit Lernschwierigkeiten kein Gehalt, sie bekommen – neben Sozialleistungen wie Mindestsicherung oder Familienbeihilfe –  lediglich ein “Taschengeld”. Sie bekommen also keinen richtigen Lohn, sie haben keine Pensionsversicherung. Klassische Arbeitsrechte können sie nicht einfordern.

a: Wie hoch ist dieses Taschengeld?

Oswald Föllerer: Die meisten Menschen verdienen so zwischen 60 und 150 Euro im Monat. In meiner ehemaligen Werkstatt in Wien ist der höchste Betrag derzeit 100 Euro. Und seit diesem Jahr wird dort in Gruppen eingeteilt, wer wie viel Taschengeld bekommt.

a: Nach welchen Kriterien wird das eingeteilt?

Oswald Föllerer: Die erste Gruppe erhält 25 Euro Taschengeld im Monat. Das sind die Menschen, die eine erhöhte Betreuung und Förderung brauchen und die Senor:innengruppen. Gruppe zwei verdient 45 Euro: Das sind Menschen, die im Kreativbereich arbeiten.

a: Und die zwei weiteren Gruppen?

Oswald Föllerer: Die dritte Gruppe erhält 85 Euro im Monat: Das sind Menschen, die unter Zeitdruck und mit Vorschriften arbeiten. Von ihnen wird mehr Arbeitsgenauigkeit erwartet oder sie sind zum Beispiel der Witterung, Hitze oder Kälte, ausgesetzt Und dann gibt es noch Gruppe vier, die erhält 100 Euro im Monat: Das sind Menschen in Qualifizierungsgruppen oder jene, die permanent woanders arbeiten. Es gibt zum Beispiel Personen, die am ersten Arbeitsmarkt arbeiten, aber das ist von der Werkstätte organisiert. Wie bei einer Leihfirma. Die Menschen mit Behinderungen sind dann zum Beispiel zum Regaleinschlichten im Drogeriemarkt. Aber selbst da bekommen sie nicht mehr bezahlt als das Taschengeld. Sie sind dort nicht richtig angestellt. Sie haben wieder nicht die Rechte, die Arbeitnehmer*innen eigentlich zustehen.

a: Was ist die Argumentation für die unterschiedlichen Auszahlungsbeträge?

Oswald Föllerer: Es wird extra betont, es werde nicht nach Leistung bezahlt. Sondern danach, wie schwierig die Arbeit ist. Aber ich sehe das anders. Was ist die Einteilung in Gruppen anderes als ein Leistungsprinzip? Wer unter Zeitdruck arbeitet, Dinge fertigstellen muss, von wem Genauigkeit erwartet wird, der muss leisten. Ich kenne das aus meiner Zeit in der Werkstatt. Da hast du Druck, Dinge fertig zu bekommen. Aber dafür bekommt man dann kein Gehalt.

a: Häufig heißt es ja von Seiten der Werkstätten, ihr Ziel sei die Vorbereitung der Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt. Wie sehen Sie das?

Oswald Föllerer: Das klingt erst einmal gut. In Deutschland heißt es: Der Wechsel vom zweiten in den ersten Arbeitsmarkt gelingt weniger als einem Prozent der Menschen in Werkstätten. Für Österreich gibt es keine Zahlen, aber ich kenne das auch: Jene, die schon länger in der Tagesstruktur einer Werkstätte beschäftigt sind, die kann man kaum mehr rausbekommen. Aber es gäbe viele Menschen mit Lernschwierigkeiten, die am ersten Arbeitsmarkt arbeiten könnten. Und viele wollen das auch. Das ergibt eine Erhebung der Caritas: Sechzig Prozent der Befragten gaben da an, dass sie gerne am ersten Arbeitsmarkt arbeiten würden, wenn das möglich wäre und sie Unterstützung bekämen. Aber der erste Arbeitsmarkt ist für Menschen mit Behinderungen nicht gemacht.

Porträt von Oswald Föllerrer. Er steht seitlich, trägt ein schwarzes Sakko und darunter ein schwarzes hemd.

a: Man bekommt in der Werkstätte nicht nur Taschengeld, sondern auch Mindestsicherung. Das ergibt insgesamt dann ja mehr Geld?

Oswald Föllerer: Genau, das macht dich aber auch abhängig. Die Menschen gehen arbeiten, aber bekommen Hilfeleistungen. Bei der Mindestsicherung darf man seit diesem Jahr 6.321,84 € an Ersparnissen besitzen, Sobald du mehr hast, wird dir das Geld weggenommen. Wenn du im Monat mehr als 140 Euro dazuverdienst, wird es dir von deiner Sozialhilfe gestrichen. Wie soll man da sparen? Wie soll man unabhängig leben? Menschen mit Behinderungen, die in einer Werkstatt arbeiten, haben keine Möglichkeit, sich ein Vermögen aufzubauen. Und dazu kommt, dass es keine Pensionsversicherung gibt: Menschen, die ihr Leben lang in Werkstätten arbeiten, droht also auch Armut im Alter.

a: Wenn es darum geht, Menschen mit Lernschwierigkeiten im ersten Arbeitsmarkt zu beschäftigen, fragen viele: Wie soll das denn funktionieren?

Oswald Föllerer: Mit einer Assistenz am Arbeitsplatz kann es funktionieren. Darauf muss man sich einlassen. Freilich, es gibt Firmen, die sich sträuben. Weil die Ausgleichstaxe (ein Betrag, den Arbeitgeber zahlen müssen, wenn sie keine behinderten Personen einstellen; Anm.) so niedrig ist, dass die sich sagen: ,Den brauch ich nicht nehmen. Da zahl ich lieber die Ausgleichstaxe.’

a: Die Persönliche Assistenz soll dieses Jahr neu geregelt werden. Eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten für Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt?

Oswald Föllerer: Persönliche Assistenz bekommt man nur bei einer hohen Pflegestufe. Aber Pflege und Assistenz ist ja ganz etwas anderes. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten gibt es im Moment kaum persönliche Assistenz in der Arbeit. Es ist also wirklich wichtig, dass die zugesprochene Assistenz von der Pflegestufe entkoppelt wird. Dann haben Menschen mit Lernschwierigkeiten auch Zugang dazu. Das würde natürlich auch wieder in der Arbeit helfen. Wenn Menschen Arbeitsassistenz bekämen, könnten sie leichter auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten.

a: Du setzt dich besonders für Menschen mit Lernschwierigkeiten ein, warum?

Oswald Föllerer: Mein Gefühl ist, die Politik schaut – wenn überhaupt – nur auf sichtbare Behinderungen, aber nicht auf unsichtbare Behinderungen. Siehst du mir an, dass ich Lernschwierigkeiten habe? Sieht man psychische Einschränkungen? Wir müssen als Gesellschaft akzeptieren, dass es Menschen wie mich gibt.

Redaktion: Lisa Kreutzer, Patricia McAllister-Käfer

Lektorat: Patricia McAllister-Käfer

Fotos: Stefan Fürtbauer

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