Demonstrierende Menschen mit Behinderungen

Noch immer Licht ins Dunkel?

2. November 2023

Ein Jahr nach unserer Doku über die größte Spendenaktion Österreichs fragen wir bei Politik, dem ORF und Licht ins Dunkel nach: Was hat sich seither verändert?

Lesezeit: ca. 10 Minuten

Vergangenes Jahr haben wir eine Dokumentation über Die österreichische Spendenaktion „Licht ins Dunkel“ veröffentlicht (zur Doku). Darin kritisieren Expert*innen, dass die Sendung nicht den Menschenrechten entspricht. Wir haben für unsere Berichterstattung dazu einige Preise gewonnen und sogar der Bundespräsident hat auf unsere Doku reagiert. Ein Jahr später fragen wir uns: Hat sich was geändert?

Vorweihnachtszeit in Österreich. Die Spendenaktion Licht ins Dunkel erreicht wie jedes Jahr mit einer großen Gala im Öffentlich Rechtlichen Rundfunk (ORF) ihren Höhepunkt. Bekannte Musiker*innen und Schauspieler*innen, aber auch das Bundesheer und hochrangige Politiker*innen unterstützen die Aktion. Zum Beispiel der Sänger DJ-Ötzi, der 2021 sein Lied “Der Moment” singt. Währenddessen fährt ein Junge mit einer Beinprothese auf einem Roller um ihn herum. Die Kamera fängt gerührte Blicke aus dem Publikum ein: Augen der Promis und Politiker*innen voller Tränen.

Licht ins Dunkel ist die größte und bekannteste Spendenaktion Österreichs. Jedes Jahr strahlt der ORF zahlreiche Sendungen aus, die von Projekten der Aktion berichten. Vergangenes Jahr sammelte die Aktion über 22,3 Millionen Euro von Bürger*innen und Unternehmen. Die Spenden gehen an Institutionen, Vereine und Einzelpersonen. Zum Beispiel an Projekte für sehr kranke Kinder, Wohneinrichtungen oder Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Therapiezentren oder Familien, die einen teuren Rollstuhl für ihr Kind brauchen.

Doch warum brauchen Menschen mit Behinderungen überhaupt Spenden von Licht ins Dunkel? In unserer Recherche für den andererseits-Dokumentarfilm “Das Spendenproblem”, fanden wir heraus: Seit mehreren Jahren schon kritisieren Menschen mit Behinderungen und Inklusions-Expert*innen die TV-Formate für die Spendenaktion. Diskutiert wurde darüber bisher aber trotzdem selten.

Nach der Veröffentlichung der Doku änderte sich das. Es gab eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit. Sogar der Bundespräsident Alexander Van der Bellen meldete sich in einem Statement. Er meinte, dass “es nie falsch ist, ein Konzept zu überdenken”. Er erwarte sich eine fachliche Diskussion von Licht ins Dunkel, sagte er der Zeit im Bild. Was hat sich seitdem wirklich verändert?

Die Darstellung von Menschen mit Behinderungen
Eine zentrale Kritik von Inklusionsexpert*innen und Menschen mit Behinderungen: Sendungen wie Licht ins Dunkel stellen Menschen mit Behinderungen als hilfsbedürftig dar. Die Szene mit DJ-Ötzi ist dafür ein gutes Beispiel und schaffte es nach der Veröffentlichung der andererseits-Doku auch in die ZDF Satire-Sendung “Behinderte Weihnachten”, in der man sich über die Gala für Licht ins Dunkel lustig machte.

Im Februar veröffentlichte das Institut für Marktforschung Media Affairs eine Studie über die Darstellung von Menschen mit Behinderungen in Medien. “Der Charity-Schwerpunkt Licht ins Dunkel, inszeniert nach wie vor Menschen mit Behinderung stark über die Mitleids- und Opferschiene”, schreiben die Autor*innen. “Die Inszenierung von Menschen mit Behinderung als Bittsteller*innen, die auf Promis, Politiker*innen oder Unternehmer*innen treffen, welche medienwirksam Spenden überreichen, widerspricht über weite Strecken der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und sorgt regelmäßig für Widerstand bei Behindertenvertreter*innen”, lautet die Kritik weiterhin. Das heißt: Wie Menschen mit Behinderungen bei Licht ins Dunkel gezeigt werden, verstößt immer wieder gegen die Menschenrechte.

Wie schon die Jahre zuvor, traten Im Jahr 2022 Vertreter*innen von Unternehmen auf die Bühne, um zu zeigen, dass sie spenden. So können sie sich als sehr gut und wohltätig darstellen. Viele der Unternehmen zahlen gleichzeitig jedes Jahr die Ausgleichstaxe. Das ist eine Strafzahlung dafür, dass sie zu wenig Menschen mit Behinderungen einstellen. Bei Licht ins Dunkel erfährt man davon allerdings nichts.

Spenden statt Gesetzen und Rechten

Spenden von Licht ins Dunkel decken oft Grundbedürfnisse ab, für die der Staat zu sorgen hat. Denn Österreich hat die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) unterschrieben, Darin steht zum Beispiel, dass Menschen ein Recht haben, unabhängig zu leben und überall mitzumachen. “Die Rechte von Menschen mit Behinderungen dürfen nicht von Spenden abhängen. Es braucht Gesetze”, sagt auch die Inklusionsexpertin Ursula Naue in der Doku.

Alle vier Jahre muss Österreich einen Bericht vorlegen, wie es die UN-BRK umsetzt. Dieses Jahr wurde Österreich besonders genau geprüft: Dabei stellten die Prüfer*innen “mit großer Sorge fest, dass die Landesregierungen dem Übereinkommen kaum Beachtung schenken.”

Probleme in der Behindertenpolitik in Österreich sind nicht neu. Menschen mit Behinderungen leben überdurchschnittlich oft in Armut. Auch ihr Recht auf inklusive Bildung wird missachtet. Das stellten die Prüfer*innen der Vereinten Nationen in einem Bericht im August fest. Schon im Jahr 2022 sammelte eine Bürgerinitiative Unterschriften für das Recht auf ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit Behinderungen. Noch immer wird inklusive Bildung nicht umgesetzt.

Dafür muss sich bei Licht ins Dunkel-Formaten im ORF keiner der anwesenden Politiker*innen verantworten. Bis Redaktionsschluss haben uns nach mehreren Nachfragen weder das Bundeskanzleramt, noch die Inklusionssprecherinnen der Grünen und der ÖVP Fragen zu Licht ins Dunkel und der Behindertenrechtskonvention beantwortet.

Oder beispielsweise Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im vergangenen Jahr. Niemand der Moderator*innen hat ihn auf seine Politik für Menschen mit Behinderungen angesprochen. Die brachte nämlich Verschlechterungen. Die Armutskonferenz hielt 2022 fest, dass es Menschen mit Behinderungen mit den Änderungen der Sozialhilfe schlechter geht. Die Änderungen hat die Regierung unter Nehammer umgesetzt.

Im September wurde dann ein Video öffentlich. Darin machte Nehammer sich über Menschen in Österreich lustig, die Schwierigkeiten haben, warme Mahlzeiten für ihre Kinder zu bezahlen. Darin fragt er: „Wisst ihr, was die billigste warme Mahlzeit in Österreich ist? […] Ein Hamburger bei McDonalds. […] Und jetzt behauptet wirklich einer ernsthaft, wir leben in einem Land, wo Eltern sich dieses Essen für ihr Kind nicht leisten können?“ Das löste landesweit Kritik aus. Nehammer könnte Politik machen, um Kinderarmut in Österreich zu verhindern. Stattdessen wird er sich wohl auch dieses Jahr wieder bei Licht ins Dunkel auf die Bühne stellen, um Spenden für armutsbetroffene Menschen in Österreich zu sammeln.

Über Versäumnisse und Forderungen an die Politik wird bei Licht ins Dunkel-Formaten nicht gesprochen. Diese Kritik äußerten Betroffene und Expert*innen in unserer Doku: Man sieht im Rahmen der Gala wohltätige Politiker*innen zur Hauptsendezeit des ORF. Und ihnen gegenüber stehen meist Menschen mit Behinderungen, die hilfsbedürftig dargestellt werden.

Versprechen ohne Gesetz
Im vergangenen Jahr feierte die Spendenaktion den Auftakt ihres 50-jährigen Jubiläums. Bundeskanzler Karl Nehammer und Vize-Kanzler Werner Kogler (Grüne) überreichten ein besonderes Geburtstagsgeschenk: Sie kündigten an, alle Spenden, die zwischen dem 18. November und 24. Dezember 2022 bei Licht ins Dunkel ankommen, zu verdoppeln. Drei Millionen Zuschauer*innen hörten das Versprechen live im Fernsehen. Ein Problem: Die Regierungsspitze versprach etwas, bei dem gar nicht sicher war, dass sie es tun dürfen.

Denn es gab kein Gesetz, das so eine Spende – man nennt es auch Zuwendung – erlaubt. Erst im Nachhinein reichte die Inklusions-Sprecherin der Grünen, Heike Grebien, im Juni 2023 im Parlament den Antrag für das “Licht-ins-Dunkel-Zuwendungsgesetz” ein. Die Oppositionsparteien NEOS, SPÖ und FPÖ kritisierten, wie das Versprechen verkündet wurde.

Kira Grünberg, Behindertensprecherin der ÖVP, kritisierte den Namen Licht ins Dunkel. Sie fand es aber gut, dass mit der Spende Geld für Menschen mit Behinderungen ausgegeben wird. Gleichzeitig hat sie nur ein paar Monate später im Oktober 2023 vier Initiativen anderer Parteien für einen Inklusionsfonds im Parlament vertagt. Seit 2016 gibt es die Forderung nach einem Inklusionsfonds. Der soll Verbesserung für die Einhaltung der Rechte von Menschen mit Behinderungen bringen.

Politiker*innen als Licht ins Dunkel-Helden im ORF – bleibt das so? 

Der Generaldirektor des ORF, Roland Weißmann, betonte dass er die Kritik aus “Das Spendenproblem” sehr ernst nehme. Am 3. Februar 2023 hat der Sender deswegen zu einem Runden Tisch über Licht ins Dunkel, Inklusion und Barrierefreiheit eingeladen. Anwesend waren Vertreter*innen der Behindertenverbände und des Vereins Licht ins Dunkel, sowie Programmmacher*innen, der Generaldirektor Roland Weißmann, Manager Pius Strobl und Expert*innen vom ORF. Das Ergebnis aus dem Gespräch: Man werde die Kritik in zukünftige Sendungen zur Spendenaktion einfließen lassen. Außerdem wolle man auch in Zukunft im Austausch mit den Behindertenverbänden bleiben.

Ein Zusammenkommen dieser Runde gab es bis heute, acht Monate nach dem Runden Tisch, allerdings nicht mehr. Der ORF hat stattdessen eine interne Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die Sendungen über Licht ins Dunkel kritisch analysieren soll, sagt Martin Ladstätter, Obmann von BIZEPS und Mitglied im ORF-Publikumsrat auf Anfrage. Nach welchen Kriterien dies passiert, erklärt Roland Weißmann uns auf Nachfrage nicht. “Die Unsicherheit darüber, ob die Kritik des Vorjahres tatsächlich zu Herzen genommen wurde, hängt immer noch in der Luft”, schrieb etwa Martin Ladstätter in einer Kolumne des Österreichischen Behindertenrats.

Auch Mario Thaler will einen kritischen Umgang mit Politiker*innen. Er ist Geschäftsführer von Licht ins Dunkel. Allerdings betont er, dass es dafür einen “geeigneten Rahmen” außerhalb der Sendeformate zu Licht ins Dunkelbrauche: “Für den Verein ist es deshalb vorstellbar, dass wir in Zukunft politisch Verantwortliche, aber auch Betroffene und Interessenvertretungen zum vertrauensvollen Austausch z.B. zu einem Kamingespräch einladen, um kritische Punkte zu besprechen.” Das heißt: In der Sendung sollten Politiker*innen nicht kritisiert werden. Er will in anderen Formaten Kritik äußern.

Für 2023 ist ein neues Format für die Gala am 18.11. angekündigt: Inklusive Teams mit berühmten Persönlichkeiten sollen bei einem Spiel gegeneinander antreten und so Spenden sammeln. Ob es reichen würde, ein paar kleine Veränderungen zu machen, haben wir auch mehrere Menschen in unserer Recherche für “Das Spendenproblem” gefragt. Damals meinten Ursula Naue, Inklusionsexpertin und auch die Vize-Präsidentin des Behindertenrats, Roswitha Schachinger: Nein, wenn es um wirkliche Inklusion geht, gehört Licht ins Dunkel abgeschafft. Schachinger sagte: “Ich wäre dafür, dass unsere Rechte so eingehalten werden, sodass Licht ins Dunkel nicht gebraucht wird.

Den Text in Gebärdensprache findest Du hier!

In Kooperation mit Gebärdenwelt.tv

#ÖGS #gebärdensprache #signlanguage

Credits: ORF- Roman Zach-Kiesling / APA / Adobe Canva

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