„Das ist so toll, das ist so sexy!“, strahlt Armin. Wir – das sind Armin, Theresa und Sandra von der Redaktion andererseits – schauen gemeinsam auf den Bildschirm und scrollen durch einen Instagram-Kanal.
Auf einem Foto zwinkert uns jemand zu. Wir bleiben daran hängen. Die Person, die uns aus dem Bildschirm zuzwinkert, trägt ein silbernes Hemd. Es glitzert und glänzt, genauso wie sein silberner Lidschatten. Auf einem anderen Bild sieht man eine Person in schwarzer Lederjacke, mit blauem Bart und aufgemalten Blitzen. Er ist “Drag King” und Teil des britischen Kollektivs Drag Syndrome: Justin Bond. Der 23-jährige heißt im Alltag Ruby. Er präsentiert sich selbstbewusst. “Justin Bond ist fantastisch. Er ist sexy, leidenschaftlich und hat ein warmes Herz”, erzählt er uns in einem Zoom-Gespräch. Justin hat – wie alle bei Drag Syndrome – das Down-Syndrom.
Die Geschichte von Drag Syndrome begann bei einem Festival, bei dem das Tanzkollektiv Culture Device, eine Gruppe von Tänzer*innen mit Down-Syndrom, einen Auftritt hatte. “Wir haben dort Drag Queens performen sehen und da meinte einer unserer Tänzer, er würde das auch gerne einmal ausprobieren”, erinnert sich Daniel, der Gründer von Drag Syndrome. Auch andere Künstler*innen waren von der Idee begeistert. “Es hat allen so viel Spaß gemacht, sich ihre Charaktere auszudenken.” Der erste Auftritt war ein großer Erfolg, erzählt Daniel. Mittlerweile hatten sie zahlreiche Auftritte in Städten wie Paris, London, Helsinki und Wien.
Heute besteht das Kollektiv aus zehn Queens und Kings mit Down-Syndrom. Bisher sind sie die einzige Gruppe, in der Menschen mit Behinderungen professionell Drag machen. Die Gründer sagen: “Menschen mit Down-Syndrom sind nicht nur süß. Sie sind starke, professionelle Künstler*innen, die wissen, wie man eine spektakuläre Show liefert”
Drag ist eine Kunstform. Menschen, die sich als Männer verstehen, verkleiden sich als Frauen. Bei Menschen, die sich als Frauen verstehen, ist es dann umgekehrt. Häufig wird beim Verkleiden als “anderes” Geschlecht genau das absichtlich übertrieben.
Als Frauen noch nicht auf Theaterbühnen spielen durften, verkleideten sich Männer um weibliche Rollen darzustellen. Dieses Verkleiden als “gegensätzliches Geschlecht” soll in der Theaterszene als “drag” bezeichnet worden sein. Andere meinen, der Begriff Drag ist eine Abkürzung für “dressed resembling a girl” – auf deutsch: angezogen wie ein Mädchen.
“Ich bin Justin, King Justin Bond”
Voller Leidenschaft steht Justin bei Auftritten auf der Bühne, tanzt und singt Playback zu Punk-, Pop- und Country-Songs. “Es ist das, was ich am besten kann”, erzählt er uns. Anders als bei seinen Drag Kolleginnen sind seine Kostüme nicht immer aufwändig. “Das Make-up kann auch ganz einfach sein”, beschreibt er in einem Video auf Instagram. Man nimmt einfach einen Korken und ein Feuerzeug, zündet den Korken an und streicht anschließend mit dem abgekühlten Korken über die Wangen, über die Augenbrauen und über das Haar. “Und plötzlich bin ich Justin Bond.”
Wenn eine Performance stattfindet und Ruby in die Rolle von Justin Bond schlüpft, fühlt sich das gut an. “Ich zeige den Menschen, was ich kann und was ich liebe. Das ist sehr persönlich, denn sie sehen, wer ich wirklich bin.”
In der Drag Szene gibt es kaum Personen mit Down-Syndrom. Das möchte das Kollektiv ändern. Wenn Menschen mit Down-Syndrom bei einem ihrer Auftritte im Publikum sind, holt Drag Syndrome sie auf die Bühne. Justin will ihnen zeigen, dass sie etwas drauf haben. “Sie haben ein Talent, wir holen sie aus ihrer Komfortzone”, so der Drag King. Menschen mit Behinderungen sind in der LGBTQIA+-Szene kaum sichtbar. Manchmal machen sie schlechte Erfahrungen, sie werden verletzt und schlecht behandelt, hält Justin fest. “Es braucht eine Community, die sicher ist für Menschen mit Behinderungen.”
Deswegen bedeutet Drag für ihn nicht nur Unterhaltung, sondern auch Empowerment. In der Welt des Drag könne man seine Ängste loslassen, sagt er, seinen Gefühlen freien Lauf lassen und stolz sein auf die Person, die man ist.
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