»Ich möchte der breiteste Blinde der Welt werden«

Arad trainiert jeden Tag in Wiener Fitness-Studios. Für andererseitshat er andere Menschen mit Behinderungen in ihren Studios getroffen und fotografiert.

Sport ist für mich mehr als nur ein Freizeit-Vergnügen. Kraft-Sport ist weit mehr als bloß körperliches Training – er steht für mich für Disziplin. Wenn ich Gewichte hebe, stärke ich nicht nur meinen Körper, sondern auch meinen Geist. Ich gewinne Selbst-Vertrauen und innere Ruhe. Auch die Welt-Gesundheits-Organisation sagt, dass Sport und Bewegung für die Gesundheit im allgemeinen sehr wichtig sind. Als Mensch mit Behinderungen ist aber nicht jeder Sport für mich zugänglich.

Ich trainiere meistens in Wiener Fitness-Studios. In Österreich gab es im Jahr 2023 rund 1.200 Fitness-Studios, in Deutschland rund 11.000. Wie viele davon wirklich barrierefrei sind, dazu liegen in beiden Ländern keine offiziellen Zahlen vor. Das ist bemerkenswert. In Deutschland hat schon 2002 ein Gericht entschieden, dass Fitness-Studios als Sport-Anlagen gelten. Damit müssen sie auch Menschen mit Behinderungen zugänglich sein.

Beim Sport stoße ich aber immer wieder auf verschiedene Hürden. Ich habe starke Knie-Schmerzen und kann deshalb keine Treppen steigen. Ich brauche einen Aufzug. Ist der Aufzug außer Betrieb, habe ich ein großes Problem – dann fahre ich schon mal ans andere Ende der Stadt, um woanders zu trainieren. Was mich auch stört: Viele Menschen haben Vorurteile, sie unterschätzen mich und meine Fähigkeiten.

Deshalb wollte ich von anderen Menschen mit Behinderungen wissen, wie sie in Fitness-Studios trainieren.

Onur, Ciara und Matti haben mich zu ihrem Training mitgenommen und mir von ihren Erfahrungen mit Kraft-Training und Behinderungen erzählt.

»Ich möchte der breiteste Blinde der Welt werden«

Onur, 23, aus Wien, ist blind und trainiert 5 Mal die Woche.

Ein junger Mann steht im Fitnessstudio. Er benutzt einen Blindenstock und ein Blindenabzeichen. Er trägt dunkle Sportkleidung. Über die rechte Schulter hängt eine Sporttasche.

Wie ist es für dich,
als blinder Mensch im Fitnessstudio zu trainieren?

Für mich ist das alles ziemlich normal, weil ich es schon eine ganze Weile mache. Allerdings wirkt es auf andere oft ungewöhnlich: Wie häufig sieht man schließlich eine blinde Person im Gym?

Welche Herausforderungen hast du?

Das ist bei jedem unterschiedlich, aber ich persönlich habe Probleme, die richtigen Kurzhanteln zu finden. Oft liegen sie irgendwo herum, und ich kann die Beschriftung nicht lesen. Daher brauche ich Hilfe, was manchmal echt nervig sein kann.

Was motiviert dich am meisten?

Ich habe ein Ziel: Ich möchte der „breiteste Blinde“ der Welt werden und den Menschen zeigen, dass es keine Ausreden gibt. Mein Motto lautet: „Wenn ein Blinder es schafft, schaffst du das auch!“

Ein junger Mann hebt in einem Fitnessstudio ein Gewicht mit beiden Händen über den Kopf. Sein Augen sind geschlossen, das Gesicht hat einen angestrengten Ausdruck.
Ein junger Mann hebt in einem Fitnesstudio mit beiden Händen eine Gewichtstange. Er schaut mit angestrengten Blick nach oben.

»Manchmal ist es frustrierend«

Matti, 24, über Barrieren in Fitnessstudios, seine Technik und was ihn motiviert.

Ein junger Mann sitzt im Fitnessstudio auf einem Gerät. Seine Augen sind halb geschlossen. Sein Gesichtsausdruck ist müde.

Wie bist Du zum Sport gekommen?

Ich betreibe eigentlich schon mein ganzes Leben Sport. In meiner Jugend habe ich Kanu-Rennsport gemacht – da gehörte Kraft-Training natürlich dazu.

Welchen Hürden begegnest Du dabei im Fitness-Studio?

Nicht jedes Studio verfügt überhaupt über einen Aufzug oder ist barrierefrei. Es ist also immer mit zusätzlichem Aufwand verbunden, ein passendes Gym zu finden. Außerdem sind die Geräte häufig unterschiedlich aufgebaut. Beim Wechsel in ein neues Studio muss ich jedes Mal eine spezielle Technik entwickeln, um vom Rollstuhl auf die Trainings-Geräte zu gelangen. Das ist natürlich zeitaufwendig und manchmal auch frustrierend.

Was motiviert Dich?

Da Sport schon immer zu meinem Leben gehört, fällt es mir vermutlich leichter, mich aufzuraffen, als den durchschnittlichen Studiobesucher*innen. Für mich ist Sport außerdem entscheidend, um meine Beweglichkeit zu bewahren. Deshalb ist es für mich gar keine Frage, ob ich trainiere, sondern nur wie ich trainiere.

Ein Mann im Rollstuhl und ein anderer Mann gehen mit dem Rücken zur Kamera durch einen Gang im Fitnessstudio.
Ein junger Mann lehnt an einer Sprossenwand. Er trägt schwarze Sportkleidung. Im Hintergrund steht ein Rollstuhl.
Ein junger Mann sitzt im Fitnessstudio auf einem Gerät. Er schaut mit angestrengten Blick nach vorne.

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»Ich fände kostenlose Begleit-Personen fair«

Ciara über ihren Weg zum Kraft-Training, die Herausforderungen im Fitness-Studio als blinde Person und was sie motiviert.

Eine Frau liegt im Fitnessstudio auf einer Bank und hebt ein Gewicht. Eine andere Frau steht am Kopfende und hilft ihr, das Gewicht zu stemmen.

Wie ist es für Dich als blinde Person, im Fitness-Studio zu trainieren?

Das Fitness-Studio schafft für mich eine Unabhängigkeit: Ich kann selbst wählen, wann ich trainieren gehe. Allerdings ist das Gym für mich ein Ort, an dem ich auf eine Begleit-Person angewiesen bin. Es ist laut, überall bewegen sich Menschen, und Trainings-Gegenstände werden manchmal spontan verschoben oder weggeräumt. Das ist für mich unkontrollierbar. 

Ein Trainer sagte einmal, dass ein Fitnessstudio einer der gefährlichsten Orte für Blinde sei – Hindernisse befinden sich sowohl in Knie- als auch in Kopfhöhe und erhöhen das Verletzungs-Risiko. Trotzdem ist das kein Grund, nicht hinzugehen. Im Gegenteil!

Welche Hürden sind für Dich
im Fitness-Studio am größten?

Ein wichtiger Punkt ist die Fortbewegung. Nicht jede blinde Person ist voll-blind. Viele haben noch ein Rest-Sehvermögen. So unterschiedlich sind unsere Bedürfnisse, um von A nach B zu kommen. 

Ich bin vollblind. Ich brauche Hilfe, um überhaupt ins Gym zu gelangen. Die Begleit-Person holt mich an der U-Bahn-Station ab, fährt mich im Auto oder wir treffen uns am Eingang. Im Fitness-Studio selbst brauche ich Unterstützung, um Umkleide, Toilette und Dusche zu finden. Die nächste Hürde sind dann die Geräte Beschriftungen an den Geräten oder den Hanteln. Diese kann ich nicht lesen, und auch die bebilderten Anleitungen sind für mich nicht nutzbar.

Um den Sport dann richtig durchführen zu können helfen mir klare Erklärungen und manchmal auch Berührungen. Manchmal kann es auch helfen, dass ich die Bewegung bei jemand anderem „abtaste“, um mir die korrekte Ausführung besser vorstellen zu können.

Ich fände es nur fair, wenn Fitness-Studios blinden Menschen eine kostenfreie Begleitperson oder vergünstigte Personal Trainings anbieten würden – denn Sport sollte für alle zugänglich sein. Er ist essentiell für ein langes und gesundes Leben, so wie Ernährung und öffentliche Verkehrsmittel für jede*n zugänglich sein sollten.

Wie motivierst du Dich?

Ich hatte das Glück, in meiner Kindheit sehr viele Sportarten ausprobieren zu können. Meine Eltern haben mich bestärkt, an inklusiven Angeboten wie Reiten, Judo, Turnen, Trampolin- oder Schwimmkursen teilzunehmen. 

Für mich als blinde Person sind sportliche Aktivitäten zudem enorm wichtig für die Entwicklung und den Erhalt motorischer Fähigkeiten, die Konzentrations-Fähigkeit und auch die räumliche Orientierung.

Eine junge Frau liegt auf einer Bank im Fitnessstudio. Sie hebt zwei Hanteln über ihren Kopf. Andere Menschen trainieren im Hintergrund.
Eine junge Frau sitzt auf einer Bank im Fitnessstudio. Sie hält mit beiden Händen eine Stange und zieht daran. Sie trägt schwarze Sportkleidung und bunte Sportschuhe.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes wurde ‚Matti‘ fälschlicherweise als ‚Matt‘ bezeichnet. Wir haben den Namen nachträglich ausgebessert.

 

Geschrieben Von

Arad Aramimoghaddam

Redaktion

Lisa Kreutzer

Fotos von

Arad Aramimoghaddam