„Und, was machst du so?“

In einer leistungsorientierten Welt ist Arbeitslosigkeit ein Stigma. andererseits hat mit Menschen gesprochen, die keine Arbeit haben.
Foto-Collage mit einer Hand, die einen Geldschein hält. Am Geldschein befindet sich das AMS-Logo und ein Foto einer Person, die mit ihren Händen ihr Gesicht verdeckt. Im Hintergrund befinden sich viele verschiedene Armbanduhren.

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Keine Arbeit zu haben, kann durchaus müde und auch krank machen. Wir haben deshalb mit Menschen gesprochen, die Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit gemacht haben.

Mit der Frage im Titel haben schon viele Freundschaften, Beziehungen und noch viel mehr Gespräche zwischen Menschen begonnen. Unser Leben dreht sich um den Job, wer arbeitslos ist, weiß sich bei der Beantwortung der Frage oft nicht anders zu helfen, als zu lügen. In unserer leistungsorientierten Welt ist Arbeitslosigkeit ein Stigma, beschämend für Betroffene.

Auch die Wissenschaft setzt sich mit dem Thema Arbeitslosigkeit auseinander. Eine der ersten groß angelegten Feldstudien entstand in den 1930er Jahren im österreichischen Marienthal in Gramatneusiedl. Eine Forschergruppe rund um Marie Jahoda untersuchte über längere Zeit, was in einer Arbeitersiedlung geschah, nachdem in dem Ort auf einen Schlag mehr als 1.000 Personen arbeitslos wurden. Eine wesentliche Erkenntnis der Studie “Die Arbeitslosen von Marienthal” war, dass Arbeitslosigkeit nicht zur Revolution, sondern zur Resignation führt. Arbeit erfüllt latente Funktionen, die durch Arbeitslosigkeit verloren gehen. „Arbeit sorgt neben dem finanziellen Einkommen für den Lebensunterhalt für die Schaffung einer Zeitstruktur und für das Einbinden der Menschen in kollektive Ziele“, sagt Hannah Quinz. „Arbeit hält aktiv, ermöglicht Anerkennung und soziale Kontakte. Wenn sie wegfällt, fallen oft auch diese zentralen Funktionen weg.“ Und das habe vor allem soziale, psychologische und gesundheitliche Auswirkungen auf Menschen.

Hannah Quinz ist als Forscherin heute an der Studie “Marienthal.reversed” in Gramatneusiedl beteiligt. Sie und ihre Kolleg*innen untersuchen im Zuge des Projekts “Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal”, kurz MAGMA, die Wirkungen des Übergangs aus der Langzeitarbeitslosigkeit in geförderte Beschäftigung, also zurück ins Arbeitsleben. So wiederholt sich die Geschichte des Marienthals ein bisschen, nur halt umgekehrt. Welch große Belastung Arbeitslosigkeit tatsächlich sein kann, hat andererseits in anonymen Gesprächen mit Menschen erfahren, die keine oder erst seit kurzem wieder Arbeit haben.

1 Scham

„Es ist wirklich so, dass man nicht gerne sagt, dass man arbeitslos ist. Man fühlt sich immer schuldig, obwohl man ja nur begrenzt etwas dafür kann oder gar nichts dafür kann. Wenn man es vermeiden kann, sagt man ‚Ich bin grad in Ausbildung‘ oder ‚auf der Suche‘, man formuliert das immer um.“ Sabine*, 36

„Wenn ich gefragt wurde, habe ich immer behauptet, dass ich noch einen Job habe, vor allem bei neuen Leuten. Bei mir wusste es nur der engere Kreis, meine Familie und Arbeitskollegen, aber die, die es wussten, haben mich sehr gepusht und gedrängt, schnell wieder Arbeit zu finden. So gepusht zu werden, hat die Scham noch vergrößert.“ Beate*, 27

„Ich schäme mich eigentlich gar nicht dafür, arbeitslos zu sein, toll finde ich es aber auch nicht, weshalb ich auch ungern drüber rede. Vor allem an die Zukunft denke ich nicht so gerne.“ Paul*, 33

„Wenn man mich fragt, was ich mache, nenne ich meistens meinen Saisonjob, was eine Lüge ist. Das mache ich doch schon seit drei Jahren nicht mehr. Vor Freunden schäme ich mich nicht, da ist das nicht unangenehm, nur wenn man wen neuen kennenlernt. Ich hab die Frage argerweise selbst schon gestellt, weil man oft wenig zu reden weiß.“ Gernot*, 43

„Dadurch, dass ich ein Kind habe, muss ich zugeben, habe ich eine unwahrscheinlich befriedigende Ausrede für meine Arbeitslosigkeit. Ich sage immer, ich bin Hausmann und das ist ja auch ein voll harter Job, aber der wird halt nicht honoriert.“ Benjamin*, 36

“Ich sage immer, ich bin bei Auto Motor Sport beschäftigt, also AMS. Das versteht bei uns jeder und gleichzeitig sagt man nicht ‚arbeitslos’. Ich mache kein Geheimnis daraus, ich kann ja nichts dafür, dass die Firma, bei der ich gearbeitet habe, in Konkurs gegangen ist.” Bernd*, 59

Die beschriebenen Gefühle der Befragten haben mit einer gesellschaftlichen Stigmatisierung von Arbeitslosen und der Individualisierung von Schuld zu tun, meint Hannah Quinz. „Dadurch, dass Erwerbsarbeit eine so große Rolle fürsoziale Anerkennung spielt und diese wiederum relevant für die Selbstwahrnehmung einer Person ist, ist Arbeitslosigkeit oft mit Scham verknüpft“, sagt sie. Wer keine Arbeit hat, wird außerdem misstrauisch beäugt. Wahrscheinlich sucht die Person einfach nicht hart genug oder vielleicht ist sie ja nur faul – Vorurteile über Menschen, die aus den verschiedensten Gründen nicht arbeiten, sind in unserer Gesellschaft tief verankert. „Betroffene haben dieses negative Bild oft schon verinnerlicht und befinden sich in einem ständigen Abwehrkampf gegen diese Vorurteile.“ 

2 Zeit

„Das Schlimme an der Sache ist, dass es ein Teufelskreis ist, weil das Selbstbewusstsein mit jedem Monat sinkt. Du wirst vor keine Herausforderung gestellt, du kannst dich nicht mehr beweisen. Ich war in der Arbeitslosigkeit sozusagen ’nur‘ Mama und das ist ohnehin schon eine undankbare Geschichte. Das Blöde ist dann, dass man sich irgendwann nicht mehr bewerben will, weil man denkt, da bekomme ich eh nur eine Absage, da bin ich nicht qualifiziert genug, das schaff ich eh nicht.“ Sabine, 36

„Je länger man nichts tut, desto mehr verliert man den Glauben daran, dass man überhaupt etwas kann. Wenn man immer nur negative Rückmeldungen bekommt mit ‚Sie sind nicht gut genug‘ oder ‚Sie sind nicht die, die wir suchen‘, lässt die Motivation nach. Ich hab mich dann schuldig gefühlt, weil ich Arbeitslosengeld bekommen habe, und mich schlecht gefühlt, weil ich nicht direkt wieder einen Job hatte. Aber ich war unfähig mehr Bewerbungen zu schreiben, als ich getan habe.“ Beate, 27

„Ich hatte manchmal Wochen, die sind wie in einem Schlaf vorbeigezogen und da war ich nicht frei. Es war schönes Wetter, aber ich war in so einer Art geistigem Nebel-Wirrwarr. Du weißt ja nicht, was mit dir passieren wird. Du wirst älter und fragst dich, krieg ich überhaupt mal einen zufriedenstellenden Job? Bleibt das jetzt langfristig so, diese Lebensqualität, die ich habe, dieses Leben und das ist schon ’strange‘ und ermüdend. Deswegen glaube ich, dass man die viele Zeit gar nicht richtig nutzen kann.“ Benjamin, 36

Fällt die Arbeit weg, so fehlt oft eine generelle Struktur im Leben, die das Vergehen der Zeit erst bewusst macht. Schon in den 1930er Jahren wurde dieses Phänomen, eine gewisse Resignation in der Arbeitslosigkeit, beobachtet. “Marie Jahoda hat das in der Marienthalstudie sehr gut beschrieben, sie nennt die Zeit ein ‘tragisches Geschenk’”, sagt Hannah Quinz. “In Verbindung mit den negativen sozialen, psychischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit wird es schwieriger, die im Überfluss vorhandene Zeit in subjektiv sinnvollerweise zu nutzen.” Die Unendlichkeit der Zeit macht das tätig werden schwierig.

3 Sozialleben

„In der Arbeitslosigkeit hatte ich weniger soziale Kontakte als vorher, ich hab mich sehr zurückgezogen und eher online Kontakte gehabt, da wussten es die Leute nicht. Mein soziales Umfeld ist sehr geschrumpft.“ Beate, 27

„Freundinnen und Freunde, die arbeiten, haben tagsüber keine Zeit, und abends hat man als Mama wieder keine Zeit, weil man das Kind ins Bett bringen muss und dann wieder einen Babysitter bräuchte, das ist also sozial ohnehin schon eine schwierige Zeit. Aber dadurch, dass ich keinen Job hatte, habe ich mich immer mehr isoliert. Man hat keine Kollegen mehr und bei Freunden ist es schwierig, Zeit zu finden. Das ist ein großes Problem und trägt viel zu der Allgemeinsituation bei, dass es einem immer schlechter geht.“ Sabine, 36

„Mein soziales Umfeld hat grundsätzlich Verständnis für meine Situation und unterstützt mich. Dennoch hagelt es auch Kritik bezüglich meiner Untätigkeit und meinem Unwillen, rauszugehen und ‚irgendwas anzunehmen‘. Diese Kritik kann ich natürlich gut verstehen, allerdings bin ich hypersensibel und brauche ein günstiges zwischenmenschliches und arbeitstechnisches Setting, um vernünftig arbeiten zu können. Zudem leide ich unter depressiven Verstimmungen, die es mir teils unmöglich machen, mich zu bewerben, geschweige denn, gut zu arbeiten.“ Paul, 33

„In der Gesellschaft, in der wir leben, hat Erwerbsarbeit einen enorm hohen Stellenwert, das heißt es wird immer schwieriger, soziale Kontakte zu halten, Menschen ziehen sich stärker zurück, bis zur sozialen Isolation“, sagt Hannah Quinz. „Das ist wiederum nachteilig für die Jobsuche, weil ja ganz oft soziale Kontakte dabei eine Rolle spielen, zu erfahren, wo es gerade eine freie Stelle gibt“, so die Forscherin.

Foto-Collage mit einer Hand, die einen Geldschein hält. Am Geldschein befindet sich das AMS-Logo und ein Foto einer Person, die mit ihren Händen ihr Gesicht verdeckt. Im Hintergrund befinden sich viele verschiedene Armbanduhren.
Illustration: Moritz Wildberger

4 Arbeitsmarkt

„Ich habe mehrere Bewerbungen pro Woche geschrieben, viele vor allem am Anfang, aber nach einem Monat war ich schon sehr demotiviert. Am AMS muss man sich ja eh für die Jobs bewerben, die sie einem zuteilen. Da war die ersten zwei Wochen viel los, dann hat meine Beraterin mich sozusagen aufgegeben und es war nichts mehr los. Ich hab mich auch für Sachen bewerben müssen, bei denen ich wusste, dass ich unterqualifiziert bin. Es war mir dann teilweise schon egal, wo ich arbeite, Hauptsache ich finde irgendeinen Job.“ Beate, 27

„Es ist so, dass es mir gesundheitlich die letzten zwei Jahre nicht gut geht. Ich hab’s dann noch einmal mit meinem Saisonjob probiert, aber das ist mir viel zu viel geworden. Jetzt habe ich panische Angst vorm AMS, dass das mich zu etwas verpflichten, was ich nicht machen will. Das können sie aber eigentlich immer, weil sie einem immer die Bezüge streichen können, wenn man Angebote nicht annimmt.“ Gernot, 43

„Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Alles zusammen habe ich sicher über 200 Bewerbungen geschrieben. Eine Absage stört mich nicht so, da passt das halt nicht, aber man hat sich meine Bewerbungsunterlagen wenigstens angesehen. Das wirklich Schlimme ist, dass ich bei 80 Prozent der Bewerbungen überhaupt keine Rückmeldung bekomme. Wenn ich nicht die automatische Empfangsbestätigung hätte, wüsste ich oft nicht einmal, ob sie angekommen ist.“ Bernd, 59

„Wenn du so eine Ausbildung hast wie ich, also Hauptschule und abgeschlossene Lehre, dann gibt es sehr wenige Bereiche, die dir das AMS aufzeigt. Du kannst Schreiner oder Maurer werden, aber dein Horizont wird nicht erweitert und selbst kannst du oft nicht über den Tellerrand hinausschauen, mit der Zeit sogar immer weniger.“ Benjamin, 36

Für die Wissenschafterin ist bei der Jobsuche vor allem wichtig, dass auf individuelle Vorstellungen eingegangen wird. Die ersten Ergebnisse aus der Studie “Marienthal.reversed” würden deutlich zeigen, ”dass Menschen sich ganz klar eine sinnvolle und nützliche Arbeit wünschen“, sagt Hannah Quinz. Es sei deshalb wichtig, ein gutes Angebot zu schaffen und Leute nicht nur “um der Beschäftigung Willen zu beschäftigen”. Im Zuge des Projektes, das die Studie untersucht, wurden extra Jobs geschaffen, die die Langzeitarbeitslosen auf freiwilliger Basis annehmen können. Sie upcyceln Möbel, haben eine Werkshalle renoviert, einen Community Garten angelegt und andere Projekte gestartet, die  einen gesellschaftlichen Mehrwert haben sollen.

5 Geld

„Ich komme knapp über die Runden, musste mir allerdings auch oft Geld ausborgen bzw. von Oma schnorren, meine Eltern sind verstorben. Mittlerweile hat Oma kein Geld mehr zum Herschnorren, aber ich bin schon so sparsam geworden, dass ich knapp aber doch mit Notstandshilfe, Deckelung auf Mindestsicherung und Wohnbeihilfe über die Runden komme.“ Paul, 33

„Ich komme mit dem AMS Geld gar nicht so schlecht aus, dadurch dass ich eine günstige Wohnung habe. Urlaub oder größere Ausgaben wären aber unmöglich. Auch ohne meine Mutter wären größere Ausgaben ein großes Problem, weil die mich immer wieder rausreißt.“ Gernot, 43

“Sagen wir so: Ich muss nicht verhungern. Da kann man keine Rücklagen machen, aber dafür ist das Arbeitslosengeld auch nicht gedacht. Im schlimmsten Fall wird mein Gespartes weniger.” Bernd, 59

„Ich bin froh, dass ich einen Mann habe, der 40 Stunden arbeitet und dementsprechend verdient. Also, das Geld ist knapp bei uns, keine Frage, aber wir kommen über die Runden. Wenn ich hingegen alleinerziehend wäre, wüsste ich nicht, was ich tun würde, das hätte ich nie und nimmer geschafft.“ Sabine, 36

Auf der Suche nach Wegen, die Arbeitslosigkeit in der Bevölkerung zu senken, diskutieren Politik und Wirtschaft zur Zeit auch die Einführung eines degressiven Arbeitslosengeldes. Arbeitslose würden dann anfangs mehr, aber mit der Zeit immer weniger Geld bekommen, was ein Anreiz sein soll, schneller Arbeit zu finden. Hannah Quinz sieht das kritisch. „Die Daten zeigen, dass Arbeitslosigkeit die Menschen in Österreich in Armut bringt oder zumindest an die Grenze zur Armutsgefährdung“, sagt sie. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Stigmatisierung sind wohl nicht fehlende Anreize das Problem, „das Problem ist der Arbeitsmarkt“, sagt Quinz. Im vergangenen Oktober waren 42,5 Prozent aller Arbeitssuchenden langzeitarbeitslos. Die meisten davon wiesen laut Quinz bestimmte Merkmale auf, wie ein Alter über 45 Jahren oder gesundheitliche Einschränkungen. “Es gibt bestimmte Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt keine oder kaum Chancen haben. Obwohl das als individuelles Problem dargestellt wird, ist es ein strukturelles Problem, das der Arbeitsmarkt erzeugt”, sagt sie.

Einen neuen Zugang für dieses Problem liefern die Untersuchungen von “Marienthal.reversed”. „Eine Arbeitsplatzgarantie soll ein Recht auf Arbeit sein“, sagt Hannah Quinz. „Die Idee ist, der normativen Pflicht zur Arbeit für gesellschaftliche Teilhabe ein tatsächliches Recht auf Arbeit, wie es in der Menschenrechtskonvention verankert ist, gegenüberzustellen. Wichtig ist, dass damit kein Zwang verbunden ist”, sagt die Forscherin.

*Namen geändert