Sebastian Gruber lebt ohne Betreuung. Für Menschen mit Behinderung ist das in unserer Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit. Für ihn bedeutet das Freiheit. Der Weg dahin war nicht einfach. 

Ich habe mit meinem fünften Lebensjahr begonnen im Rollator zu gehen, das war das beste Gefühl in meinem Leben und der Beginn zur Freiheit.

Freiheit heißt für mich auch ein Gehalt zu verdienen und es selbst zu verwalten und eine Wohnung selbst zu finanzieren. Freiheit ist auch ein eigenes Auto zu besitzen und einen Führerschein.

Mein Arbeitsleben begann vor elf Jahren als ich Bewerbungen schrieb, um meine Lehre zu verlängern. Bei fünf Unternehmen war ich sogar beim Schnuppertag – unter anderem bei der Stadt Wien. Ich war bis zu Mittag dort, wobei ich den ganzen Tag wollte. Aber als sie zu Mittag sagten, du kannst gehen, weil es keine Arbeit mehr gibt, bin ich gegangen. Am nächsten Tag kam der Anruf, dass ich nicht genommen werde, weil ich ja kein Interesse gehabt hätte und zu Mittag gegangen bin. Das ist eine allgemeine Frechheit.

Später war ich beim AMS und habe gleichzeitig 350 Bewerbungen geschrieben für eine integrative Lehre. Fünf kamen zurück, wobei vier  ohne integrative Lehre waren und die Einzige, die gepasst hat, war bei der Allianz Versicherung. Nach fünf Schnuppertagen waren sie von mir so begeistert, dass sie mich behalten wollten. Mittlerweile bin ich knappe zehn Jahre dort.

Für Menschen mit Behinderung ist es etwas ganz Besonderes ein fixer Bestandteil der Arbeitswelt zu sein – wahrscheinlich besonderer als für Mensch ohne Behinderung, weil das ein Gefühl von Freiheit und Selbstständigkeit im Leben ist. Davor war ich in einer Welt gefangen, wo das nicht so war.

Wenn man eine Arbeit hat, dann hat man einen geregelten Alltag. Das ist wichtig, weil man sonst nicht weiß, was man mit dem Leben anfangen soll. Man fällt in eine Art Trance, wo man nicht mehr leicht rauskommt. So habe ich mich gefühlt. Auch wenn sich wahrscheinlich jeder Mensch ohne Arbeit so fühlt, aber für Menschen mit Behinderung ist es noch schwerer eine Arbeit zu finden, die man sein Leben lang hat. Ohne Arbeit habe ich mich sehr gelangweilt, man kann ja nicht nur Fahrrad fahren oder laufen, man braucht etwas Geregeltes, auch, um neue soziale Kontakte zu knüpfen. Neue Kontakte und Freunde bedeuten auch Freiheit. Wenn man sich auf ein Bier treffen oder gemeinsam Fußball spielen kann, fühlt man sich freier, weil man mehr Optionen in seinem Leben hat. Dann ist auch das Lebensbild anders.

Ich finde die Arbeitssituation in Österreich brutal. Meiner Meinung nach gehört jeder gefördert, weil alle gleich sind und alle eine Chance bekommen sollen. Alle Firmen, die einen Behinderten ablehnen, zahlen einfach nur eine Strafe zwischen 257 und 383 Euro pro Monat. Als Unternehmen muss man erst ab einer Anzahl von 25 Mitarbeitern einen Behinderten einstellen, wobei das viel zu wenig ist. Das gehört geändert und alle sollten eine Chance bekommen und das wäre wieder einen Grund für Freiheit.

Freiheit heißt für mich auch, ohne Rollstuhl gehen und sprechen zu können. Freiheit ohne Rollstuhl ist ein Privileg und keine Selbstverständlichkeit.

Ich versetze mich immer in die Rollstuhlfahrer, wie schwer es die haben bei jeder kleinen Erhöhung. Bei uns wird auf Barrierefreiheit nicht so geachtet wie in anderen Ländern, zum Beispiel in England. Dort ist so gut wie alles barrierefrei, es gibt mehr Rampen und Fahrstühle und auch die Leute helfen einem mehr. Rollstuhlfahrer brauchen bei jeder Erhöhung Hilfe, nur jeder geht einfach weiter und das ist inakzeptabel. Als ich im Rollstuhl gesessen bin, ist mir das auch passiert und ich musste zu Fremden sagen, dass ich Hilfe brauche. Es gibt nicht so viele, die stehen bleiben. Noch schlechter ist die Barrierefreiheit in New York. Da bist du aufgeschmissen.

Freiheit ist auch in seiner eigenen Wohnung und Welt zu leben. Meine erste Wohnung war der erste Schritt zur Selbstständigkeit. Mir ist eine eigene Wohnung wichtig, weil ich meine Ruhe und Abstand brauche, um aus dem Alltag ein wenig raus zu kommen und abzuschalten.

Wie ich ausgezogen bin vor knapp fünf Jahren, habe ich zwei Jahre vorher der Mama meinen Auszug vorgeschlagen. Ein halbes Jahr lang hatte ich das Gefühl und dachte mir jede Woche, dass ich was ändern muss in meinem Leben. Ich habe mich schon wohl gefühlt daheim, aber wusste, dass ich  ausziehen und selbstständiger werden muss. Es ist nicht einfach, das Gefühl zu beschreiben. Ich wollte ein Reich für mich haben, mein Leben selbst verwalten, und nicht immer gezwungen sein, mit jemanden sprechen zu müssen. Das Thema ist sicher bei allen so aber Menschen mit Behinderung haben weniger Erfahrungen damit.

Meine Mama war zu diesem Thema ganz gelassen und hat es auch gut gefunden und mich dabei unterstützt und mir dabei geholfen, Wohnprojekte zu suchen – auch bei ihr in der Nähe. Es war mir wichtiger ein wenig außerhalb von der Stadt zu wohnen als bei der Mama zu wohnen.

Ich lebte in einer Rollstuhl-gerechten Behindertenwohnung. Es ist schwierig, nach so einer zu suchen als Rollstuhlfahrer. Man muss sich da unbedingt an Wiener Wohnen richten, sie wissen ganz genau welche Wohnung frei und geeignet ist. Ich brauche aber seit meinem siebten Lebensjahr keinen Rollstuhl mehr und habe mich darum nach anderen Wohnungen umgeschaut und erkundigt. Auch in meiner Firma. Ich habe bei meiner damaligen Chefin gefragt, ob sie was wüsste. Da hat sie gemeint, dass sie bei einem Verein ist und sie ein Haus bauen lassen und Bewohner suchen. Als ich das erfahren habe, habe ich im Internet recherchiert und meiner damaligen Chefin gesagt dass ich zu so einer Versammlung komme, um mir das mal anzuhören. Es war wie so eine Bewerbung bei einer Firma, man musste zu ein paar Versammlungen und man musste sich vorstellen und nach der sechsten Versammlung wurde man nach dem Vorstellen weggeschickt und die haben sich dann besprochen. Ein paar Tage später wurde ich informiert, ob ich genommen wurde: Zum Glück haben sie mich aufgenommen. Mein Vater hat mit mir alles durchgerechnet und was mir finanziell am besten zu mir passt für eine Wohnung. Ohne meine Eltern und Großeltern könnte ich jetzt nicht so toll wohnen.

Ab diesem Zeitpunkt begann die Arbeit. Und verschiedene Treffen als Gemeinschaft mit den Leuten haben stattgefunden: Gemeinschaftswochenenden in der Seestadt und Hausbesichtigungen. Wir konnten bei unseren Wohnungen alles selber aussuchen über Boden, Fliesen bis hin zur Einrichtung. Dann bei der Fertigstellung und der ersten Wohnungsbegehung haben wir uns mal alles angeschaut und ausgemessen und angeschaut wo wir was hinstellen und daheim noch alles ausgemessen ob das alles hinpasst und überlegt, was wir alles mitnehmen. Einmal beim Papa und dann bei Mama. Nach der Schlüsselübergabe haben wir fünf Tage später alles abgebaut, hintransportiert und wiederaufgebaut. Nach zwei Tagen war ich der erste im Haus, der voll eingerichtet war. Nach einer Woche war ich komplett fertig. So begann mein neues Leben in der Seestadt.

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung Der Standard entstanden und in verkürzter Form als Gastkommentar in der Rubrik „Kommentar der anderen“ erschienen. 

Text: Sebastian Gruber, unterstützt von Katharina Kropshofer

Foto: privat