Über die Zusammenarbeit von andererseits und DOSSIER
Wir haben mit DOSSIER zusammengearbeitet – bei der Recherche, beim Schreiben und bei der Gestaltung.
Erfahrungen aus der inklusiven und investigativen Zusammenarbeit.
IN ZUSAMMENARBEIT MIT
Diese Recherche ist in Zusammenarbeit mit der Investigativ-Plattform DOSSIER entstanden.
Wie macht man inklusiven Journalismus? Und was bedeutet das überhaupt? Inklusiver Journalismus geht über die Teil-habe von Menschen mit Behinderungen hinaus. Er hat das Ziel, den Zugang zu Informationen so barrierefrei wie möglich zu gestalten: durch Einfache Sprache. Und Angebote, die auch für Menschen mit Seh- oder Hör-Beeinträchtigungen geeignet sind. Denn wir alle sind auf Nachrichten angewiesen. Jeden Tag. Medien sollten auf die Bedürfnisse aller Menschen eingehen. Wer keinen Zugang zu Journalismus hat, kann keine informierten Entscheidungen treffen. Deswegen geht der Ausschluss von Menschen aus der Gesell-schaft uns alle an. Eine einfache -Erkenntnis, oder? Nicht ganz so einfach sind die notwendigen Änderungen.
DOSSIER und andererseits haben sich auf die Reise gemacht, um so inklusiv wie möglich zu berichten. Wir haben dabei viel Neues entdeckt und sind auch auf Grenzen gestoßen. Etwa bei dem Heft, das Sie gerade in Händen halten. Denn wie barrierefrei kann ein gedrucktes Magazin tatsächlich sein?
Georg Eckelsberger (DOSSIER): In der digitalen Version dieser Ausgabe arbeiten wir erstmals mit barrierearmen, interaktiven Daten-Grafiken. Bei unserer Online-Darstellung funktioniert das auch mit Vorlese-Programmen für blinde und sehbehinderte Menschen. Und: Jede Grafik wird auch in Worten erklärt. All das hilft beim Erfassen der Inhalte.
Emilia Garbsch (andererseits): Die Schrift ist größer als in den bisherigen DOSSIER-Magazinen. Eigentlich wird für Barrierefreiheit aber empfohlen, mindestens die Schriftgröße 14 zu verwenden. Das erleichtert das Lesen. Aber dann hätte das Heft doppelt so viele Seiten, und das heißt höhere Druckkosten. Die perfekte Lösung wäre, das Heft zusätzlich in Leichter Sprache zu schreiben. Und es müsste auch in Blindenschrift verfügbar sein. Es gibt nicht die eine Lösung, die alle Barrieren beseitigt. Das Ergebnis der Bemühungen ist fast immer ein Kompromiss.
Diese Kompromisse musste Tom Linecker eingehen. Er und Fabian Lang sind die künstlerischen Leiter von DOSSIER. Das heißt, sie sind dafür verantwortlich, wie das Magazin aussieht. Tom hat mit dieser Ausgabe erstmals ein barrierefreies Magazin gestaltet. Worauf hat er dabei geachtet?
Tom Linecker (DOSSIER): Ich habe weggelassen, was zuvor Dekoration war. Die Reduktion auf das Wesentliche sorgt für Klarheit. Barrierefrei bedeutet für mich, dass Informationen für alle zugänglich sind: für Menschen mit und ohne Behinderungen. Die Artikel sind jetzt kürzer, weil die Schrift größer ist. Das ist kein harter Bruch mit dem bisherigen Aussehen. Für viele ist es so aber einfacher zu lesen. Ich versuche das in Zukunft weiter so zu machen, weil die Idee so schlüssig ist. In der Vorbereitung auf dieses Magazin habe ich einen Satz gelesen, der mir in -Erinnerung geblieben ist: Barrierefreies Gestalten darf -alles, nur nicht langweilig sein. Menschen mit Behinderungen wollen auch ansprechend gestaltete Inhalte.
Damit der Spaß nicht zu kurz kommt, haben Tom und Karikaturist Gerhard Haderer ihre Kräfte gebündelt. Ein Karikaturist ist ein Zeichner, der Menschen und Situationen überspitzt darstellt. Die Zeichnungen sind unterhaltsam und weisen gleichzeitig auf Pro-bleme hin. Haderers Arbeiten sind legendär: Er hält der -österreichischen Gesellschaft den Spiegel vor – schonungslos, aber mit viel Herz. Für dieses Magazin hat er die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen dargestellt. Er hat keine Scheu davor zu zeigen, wie sie noch immer wahrgenommen werden: als hilfsbedürftig und bemitleidenswert. Ernst genommen werden sie kaum. Könnten Haderers Zeichnungen vielleicht manche kränken – allen voran die Betroffenen selbst?
Tom Linecker (DOSSIER): Wir hatten keine Berührungs-Ängste mit dem Thema. Ich glaube, die Angst kommt bei vielen daher, dass sie glauben, Menschen mit Behinderungen wollen eine Sonder-Behandlung. Dass man wie auf Eierschalen gehen muss, wenn man mit ihnen zu tun hat oder mit ihnen spricht. Es ist nicht inklusiv, wenn man sie nicht wie alle anderen Menschen behandelt. Haderer hat 50 Jahre Berufs-Erfahrung, bei mir sind es 25 Jahre. Mit diesem Magazin haben wir uns aber beide sehr weiterentwickelt. Barrierefreiheit ist in der Gestaltung schwierig umzusetzen, weil sie vom Weglassen lebt. Das ist die hohe Kunst.
Auch beim Schreiben war das Motto »Weniger ist mehr«. Das Ziel: komplizierte Inhalte so einfach wie möglich wiedergeben. Einfache Sprache bedeutet: -kurze Sätze. Pro Satz nur eine Information. Oder Fachwörter vermeiden beziehungsweise erklären.
Einfache Sprache bedeutet auch, die Lesbarkeit von einem Text so weit wie möglich zu verbessern. Etwa indem man zusammengesetzte Wörter mit einem Bindestrich voneinander trennt. Ein Beispiel dafür ist das Wort Behinderten-Einstellungs-Gesetz. Auch Zahlen, die mehr als fünf Stellen haben, sind nicht immer einfach zu lesen. Deshalb steht in diesem Magazin anstelle von 250.000 die -Schreibweise 250 Tausend.
So können Menschen mit Lern-Schwierigkeiten einen Text besser verstehen. Auch Älteren oder Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache hilft Einfache Sprache dabei, Texte zu verstehen. Eine wissenschaftliche Untersuchung der Universität Hamburg aus dem Jahr 2018 hat ergeben, dass jede·r dritte Erwachsene in Deutschland Probleme beim Verstehen von Texten hat. In Österreich braucht laut einer Analyse der Statistik Austria aus dem Jahr 2012 mehr als jede·r sechste Erwachsene Einfache Sprache, um die Information zu verstehen. Das sind rund eine Million Menschen.
Sahel Zarinfard (DOSSIER): Für mich war die Einfache Sprache die größte Umstellung. Aber wenn man einmal den Dreh heraushat, wirken plötzlich viele andere Texte eher sperrig. Ich habe bei mir auch andere Hemmungen beobachtet: Wie wirkt mein Artikel auf Menschen, die Einfache Sprache nicht brauchen? Und warum ist mir das überhaupt wichtig?
Lisa Kreutzer (andererseits): Einfache Sprache wirkt auf manche vielleicht komisch. Zum Beispiel auf Menschen, die studiert haben. Wenn sie über eine ungewohnte -Formulierung stolpern, dann nehme ich das in Kauf. Es ist wichtiger, dass auch jemand mit Lern-Schwierigkeiten den Text versteht.
Eine weitere Herausforderung: Ein Großteil dieser Ausgabe beschäftigt sich mit Zahlen. Denn wir haben sehr viele Daten ausgewertet. Insgesamt waren es mehr als 20.000 Firmen und Organisationen. Bei 94 haben wir genauer hingesehen: Stellen sie so viele Menschen mit Behinderungen an, wie sie sollten? Nein, die meisten machen das nicht. Um diese Ergebnisse barrierefrei darzustellen, mussten wir uns etwas einfallen lassen. Im Magazin haben wir die dargestellten Daten auf das Wesentliche beschränkt – und nicht wie bisher viele unterschiedliche Grafiken eingesetzt. Für die Website aber gab es bis jetzt keine barrierefreie Lösung. Aber eben nur bis jetzt.
Emilia Garbsch (andererseits): Als wir den Datensatz zur Ausgleichstaxe bekommen haben, haben wir uns die Frage gestellt: Wie kann man diese Daten -barrierefrei darstellen? Deshalb habe ich das Projekt »Daten für alle« gestartet. Wir haben uns zum Ziel gemacht, Daten–Geschichten für Menschen mit und ohne Behinderungen -erlebbar zu machen. Die aktuellen Programme, mit denen man Daten-Grafiken erstellen kann, sind nämlich nicht barrierefrei. Sie funktionieren nicht gut mit Vorlese-Programmen für blinde und sehbehinderte Menschen. Die Programme lesen die Informationen nur in chaotischer Reihenfolge vor – oder gar nicht.
Markus Hametner (DOSSIER): Emilia hat mir dann erzählt, dass sie die Daten-Grafiken barrierefrei machen will. Zur selben Zeit hat sich eine Universitäts-Kollegin von mir genau mit diesem Thema beschäftigt. Sie hat ihre Abschlussarbeit an der Universität über barrierefreie Info-Grafiken geschrieben und auch ein Computer–Programm dafür geschrieben. Diese Arbeit war ein großes Vorbild. Ich konnte viel daraus lernen und ein eigenes Werkzeug entwickeln. Jetzt können Menschen, die ein Vorlese-Programm verwenden, die Grafiken auf den Websites von DOSSIER und andererseits so lesen, wie wir sie auf einen Blick erfassen können.
Emilia Garbsch (andererseits): Das hat, soweit wir das wissen, noch kein Medium im deutschsprachigen Raum geschafft!
Der barrierefreie Zugang zu Informationen war uns bei der Arbeit an diesem Magazin wichtig. Aber ebenso wichtig war uns auch die inklusive Recherche. Wo es möglich war, haben Journalist·innen mit und ohne Behinderungen zusammengearbeitet. Wir haben gemeinsam Interviews geführt und gemeinsam Texte geschrieben.
Georg Eckelsberger (DOSSIER): Für mich war die Arbeit an dem ganzen Magazin sehr lehrreich. Ich habe nicht nur inhaltlich sehr viel gelernt, sondern vor allem auch über das inklusive Arbeiten. Man schafft dabei Bedingungen, damit alle mitmachen können. Erst wenn man sich darum bemüht, fällt einem auf: Wir arbeiten oft unter stressigen Bedingungen und nehmen dabei nicht viel Rücksicht aufeinander. Ich bin überzeugt, dass alle etwas von inklusiver Arbeit haben.
Sahel Zarinfard (DOSSIER): Ich habe für diese Recherche erstmals inklusiv gearbeitet, gemeinsam mit David. Die Zusammenarbeit war leichtfüßig und hat gut funktioniert. Ich habe gedacht, dass es eine große Umstellung sein wird. Stattdessen war es so, dass ohne David der Kontakt zu den Werkstätten-Beschäftigten schwieriger gewesen wäre. David hat mir den Einstieg in das Thema erleichtert. Und er hat mir auch viel über den Alltag in Werkstätten erzählt, das ich nicht gewusst habe.
David Tritscher (andererseits): Ich fand die Arbeit und die Recherche auch sehr spannend. Weil ich auch auf Informationen gestoßen bin, die ich so nicht gekannt habe. Zum Beispiel, was die Rechte von Menschen in Werkstätten betrifft und wie das wirklich abläuft in so einer Struktur.
Nikolai Prodöhl (andererseits): Es ist wichtig, dass auch wir unsere Meinung äußern. Wir haben ja auch Erfahrung in unterschiedlichen Bereichen. Und wenn die Politik -Sachen beschließt, die für Menschen mit Behinderungen nicht gut sind, dann ist es wichtig, dass wir uns zu Wort melden. Wenn ich inklusiv mit jemandem arbeite, dann sagt die Person oft, so schlimm war das nicht. Vielleicht war sie unsicher, ob das gut klappt. Aber ich habe das Gefühl, dass die Person danach erleichtert ist und auch etwas dabei gelernt hat. Das baut Barrieren ab.
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