Leonie Schüler schaut in lachend in die Kamera. Sie trägt einen beigen Blazer und pinken Lippenstift.

Berührt werden

24. Mai 2024

Leonie Schüler hat eine Behinderung.

Sie hat genauso Lust auf Sex wie andere Menschen.

Aber sie kann ihre Sexualität nur schwer selbst-bestimmt leben.

Und niemand möchte reden über die Sexualität von Menschen mit Behinderungen.

Das will Leonie Schüler ändern.

Deshalb erzählt sie ihre Geschichte.

Unterstützt von Lisa Kreutzer

Fotografiert von Marie Haefner

 

Im Sommer 2012 verliebe ich mich.

Er ist ein lustiger Mensch.

Er spielt mir auf dem Klavier vor.

Er beeindruckt mich sehr.

Aber: Er will keine intimen Berührungen.

Das heißt: Er will kein Streicheln oder Küssen.

Und er will keinen Sex.

Vielleicht hat er gedacht,
dass ich wegen meinem Rollstuhl keinen Sex mag.

Vielleicht hat er sich gerade deswegen für mich interessiert.

Viele glauben, dass ich als Frau mit Beeinträchtigung keinen Sex habe.

Menschen mit Behinderungen haben aber genauso Lust auf Sex,
wie andere Menschen.

Sexuelle Selbst-Bestimmung ist ein Menschen-Recht.

Das heißt: Jede*r soll die Möglichkeit haben, Sexualität zu erleben.

Das steht auch in der UN-Behinderten-Rechts-Konvention.

Mein Wunsch: Berührt werden

Ein Jahr und ein paar Monate später endet die Beziehung.

Ich wünsche mir, berührt zu werden.

Also versuche ich viele Dinge.

Zum Beispiel Online-Dating.

Sechs Jahre lang. Ohne Erfolg.

Ich treffe Menschen, die Zeit mit mir verbringen wollen.

Aber sie wollen keinen Sex mit mir.

 

Ich versuche Sexualbegleitung.

Sexualbegleiter*innen sollen Menschen mit Behinderungen mit ihrer Sexualität helfen.

Doch ich erlebe nicht das, was ich mir wünsche.

Ich gehe zur Sexual-Pädagogin.

Aber sie spricht mit mir nur über Selbst-Befriedigung.

Leonie Schüler sitzt in ihrem Rollstuhl. Sie schaut mit ernsten Blick in die Kamera. Sie trägt einen schwarzen Spitzen-Body und pinken Lippenstift.

Mich selbst berühren

Also suche ich mit einem Vibrator nach sexueller Selbst-Bestimmung.

Ich kann meinen Vibrator mit einer Fernbedienung bedienen.

So ist er für mich barrierefrei.

Mit dem Vibrator empfinde ich Befriedigung.

Aber: Wenn man auf Pflege angewiesen ist,
ist Selbst-Befriedigung nicht so einfach.

Wenn ich meinen Vibrator benutzen möchte, brauche ich Hilfe.

Ein*e Pfleger*in muss mir ins Bett helfen.

Einmal hatte eine Pflegerin erst nach einer Stunde Zeit, mir zu helfen.

Das hat mich wütend gemacht.

Dann war meine Lust weg.

In meine Wohnung kommen immer wieder Pflege-Schüler*innen.

Sie sehen bei der Pflege zu.

So lernen sie ihren Beruf.

Für mich heißt das: Ich kann mir nicht aussuchen,
wer in meine Wohnung kommt.

Ich kann mir nicht aussuchen, wer mich auszieht.

Oder wer mir beim Duschen hilft.

Ich werde oft berührt.

Von vielen verschiedenen Menschen.

Ich frage mich oft: Was passiert,
wenn ich bei der Pflege sexuelle Erregung spüre?

Zum Beispiel, weil mich ein attraktiver Mann beim Duschen berührt.

Ich will mich vor so einer Situation schützen.

Deswegen möchte ich nicht von einem attraktiven Mann gepflegt werden.

Aber: Wegen dem Personal-Mangel kann ich mir so etwas nicht aussuchen.

Sexuelle Selbst-Bestimmung

Ich will als Frau mit Beeinträchtigung sexuell unabhängig und eigenständig sein.

Meinen Vibrator dann verwenden, wenn ich gerade Lust verspüre.

Und: Mit anderen intim sein.

Wie kann ich selbst-bestimmt meine Sexualität leben?

Kann ich das überhaupt?

Ein Mensch ohne Behinderungen muss sich diese Fragen nicht stellen.

 

Sexualität von Menschen mit Behinderungen
ist bis heute nicht selbstverständlich.

Meine Sexualität ist ein Tabu-Thema.

Das will ich ändern.

Deswegen schreibe ich darüber.

 

Diesen Text gibt es auch länger.

Du kannst ihn im Internet lesen: andererseits.org/

Dieser Text ist mit Unterstützung der Otto Brenner Stiftung entstanden.

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